Spannender Krimi mit zeitgeschichtlichem Hintergrund

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takabayashi Avatar

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1984 ... ich kann mich noch gut an dieses auch in meinem Leben bedeutungsvolle Jahr erinnern, an die Angst vor den Pershing-Raketen auf bundesdeutschem Boden und vor einem möglichen Kanzler Franz Josef Strauß! Und auch an das Konzert von Joy Division 1981 im Kant-Kino, bei dem Nick mit seinem Sohn Jo war - da war ich auch dabei.
Der Berliner Ermittler Nick Marzek steckt nach dem Tod seiner Frau in einer Lebenskrise und ertränkt seinen Kummer in Alkohol. Als sein Freund Aki von der Münchner Kripo nach Berlin kommt und ihn so angeschlagen vorfindet, bietet er ihm eine Stelle in München an, wo er ihm auf die Beine helfen könne. Nick nimmt an und stürzt sich in die Arbeit. Meist geht es um Fälle im Rotlicht-Milieu, aber liegt hier auch der Grund für den Anschlag auf die Münchner Diskothek Liverpool? Dahingehend wird zunächst ermittelt, bis dann ein Bekennerschreiben der italienischen Gruppe LUDWIG auftaucht. Das Bekennerschreiben ist überwiegend in Italienisch verfasst, aber verziert mit Hakenkreuzen und Runen. Nick wird in halboffizieller Mission nach Italien geschickt und da auf die Schnelle kein Dolmetscher gefunden werden kann, soll Graziella, die italienische Putzfrau der Münchner Kripo, ihn begleiten. Das ungewöhnliche Gespann klappert die Tatorte ab, an denen Anschläge der Gruppe Ludwig stattgefunden haben, sie studieren Polizeiakten und sprechen mit den unterschiedlichsten Leuten. Allmählich beginnen sich Gemeinsamkeiten herauszukristallisieren.
Den Anschlag auf den Club Liverpool und die Gruppe Ludwig hat es tatsächlich gegeben. Die Motivation der (sehr kleinen) Gruppe Ludwig, die sich mit Nazisymbolen schmückt, scheint aber doch eher nicht rechtsextremistisch, sondern katholisch-fundamentalistischer, moralischer Natur gewesen zu sein. Zu Beginn der Anschläge (ab 1977) waren die Oberschüler erst 17 bzw. 18 Jahre alt. Sie warfen ihren Opfern moralische Verkommenheit und Abfall von der wahren Religion vor.
Der Autor hat gründlich recherchiert und mit den fiktiven Mitteln, die einem Krimiautor im Gegensatz zum Historiker zur Verfügung stehen einen gut lesbaren und spannenden Roman daraus gemacht. Durch Graziella an seiner Seite bekommt Nick einen viel besseren Einblick in die italienische Mentalität, als wenn ein beeidigter Dolmetscher ihn begleitet hätte. Die beiden, jeweils leicht angeschlagenen Enddreißiger, entwickeln sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten zu einem gut eingespielten Team. Durch die beiden hat man als Leser einen persönlicheren Zugang zu den realen historischen Vorfällen. Und zur Aufheiterung zwischendurch ein wenig Fiorucci und viel gutes Essen.
Gelungener und informativer historischer Krimi - von mir eine Leseempfehlung!