Erstklassige Idee

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Eines Nachts, als die Ärztin Sara Linton in der Notaufnahme arbeitet, wird eine junge, schwerverletzte Frau eingeliefert, deren Leben allerdings nicht mehr zu retten ist. Im Todeskampf berichtet die Verletzte der Ärztin Sara, dass sie vergewaltigt wurde, sich aber an kaum etwas erinnern kann. Die darauf folgenden polizeilichen Untersuchungen halten jedoch Überraschungen bereit. Die Ermittler Will Trent und Faith Mitchell haben eindeutige Hinweise, dass der Übergriff mit einem weiteren Überfall zusammenhängt – nämlich mit der vor 15 Jahren begangenen Vergewaltigung an Sara Linton selbst.

Karin Slaughters Werke faszinieren mich schon seit vielen Jahren, und die „Die letzte Nacht“ bildet dabei keine Ausnahme. Von der ersten bis zur letzten Zeile waberte unterschwellig eine bedrückende, bedrohliche Atmosphäre mit, allerdings meist nur sehr subtil. Doch genau damit lockte mich die Autorin meisterhaft von Kapitel zu Kapitel, um die Lösung des Falls zu entdecken und dieses Gefühl der Ungewissheit zu klären.

Ich bin immer wieder erstaunt über die vielen aufwändig recherchierten medizinischen Details und Möglichkeiten, die in die Szenen der Sara Linton eingebaut werden. Im aktuellen Buch waren Saras Fachkenntnisse sogar entscheidend für die Lösung des Falls. Die Ärztin glänzte allerdings auch in der Opferrolle, denn die Momente ihrer damaligen Vergewaltigung, und alle dazugehörigen Umstände, wurden schonungslos auf den Tisch gebracht. Dabei grub Slaughter tief: Die Konfrontation ließ Sara ihr Trauma in aller Härte aufleben, wobei mich die entsetzlichen Einzelheiten des Überfalls und die damit verbundenen Emotionen und Gefühle völlig erschütterten. Meiner Ansicht nach hat die Autorin dadurch aber auch fantastische Aufklärungsarbeit geleistet, denn die problematischen Nachwehen eines solch schrecklichen Verbrechens werden in der Regel gesellschaftlich wohl eher wenig thematisiert. Zudem wirkten die Ermittlungen außerordentlich fundiert, denn das Team um Will Trent agierte sehr authentisch, wägte Risiken ab und bezog auch rechtliche Hintergründe mit ein.

Erstklassig empfand ich auch die Idee des Falls an sich, der sich für mich durchaus glaubhaft darstellte. Hier wurde nicht überdramatisiert oder Effekthascherei betrieben, sondern die Möglichkeiten und Tricks in der Ermittlungsarbeit, inklusive der Stolpersteine und Risiken, demonstriert. Für mich war dies tatsächlich aufregend genug, da in diesem Zusammenhang auch private Ängste und Unsicherheiten der Teammitglieder bearbeitet wurden. Zudem schien mir, dass die Autorin grundsätzlich einen durchaus unaufgeregten, realistischen Blick auf die Welt hatte, was ich aus verschiedenen Passagen herauslesen konnte. Währenddessen durfte ich wunderbar eigene Vermutungen über den Täter anstellen, die ich dann – dank einiger spannender Wendungen - allerdings mehrmals überdenken musste.

Wer die Charaktere aus Karin Slaughters Thriller-Reihen noch nicht kennt, dem sei gesagt, dass jeder davon interessant, und ein echtes Unikat ist, wobei deren jeweilige Lebenswege im Laufe der Serie ziemlich ausführlich enthüllt werden. Es lohnt sich also doppelt die Serie von Anfang an zu verfolgen. In diesem aktuellen Thriller, der übrigens unabhängig gelesen werden kann, habe ich jedoch etwas mit Wills Partnerin Faith gehadert, die mir mit ihrer Kontrollsucht etwas auf den Zeiger ging. Allerdings machte die resolute Vorgesetzte Amanda diesen Umstand wieder wett. Diese Frau ist immer für Überraschungen gut und lässt mich aufgrund ihrer Art regelmäßig schmunzeln.

Kurzum, „Die letzte Nacht“ war eine Lektüre ganz nach meinem Geschmack, mit großer Authentizität und einer aufregenden Ermittlung. Ehrlich gesagt würde ich gerne umgehend den nächsten Teil der Reihe lesen – aber man kann ja nicht alles haben. Von mir gibt es daher eine klare Leseempfehlung!