Unfassbar spannend

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sleepwalker1303 Avatar

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Lange hat Karin Slaughter die Fans ihrer „Georgia-Reihe“ warten lassen, bis sie jetzt mit „Die letzte Nacht“ den elften Teil der Serie veröffentlicht hat. Das Buch hat es, wie auch die anderen Teile der Reihe, in sich. Es strotzt vor Spannung und Brutalität, hat neben bodenständiger Ermittlungsarbeit einige Ausflüge ins Private, wartet mit blutigen Szenen und Episoden voller Liebe und Zuneigung auf. Ein fast rundum gelungenes Buch.
„Schreib eine Liste von allem, was dir Angst macht. Das bin ich.“ – junge Frauen werden gestalkt, unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Eine von ihnen stirbt im Grady in Atlanta, in dessen Notaufnahme Dr. Sara Linton Dienst tut. Drei Jahre später steht die Ärztin als Zeugin vor Gericht, der Angeklagte ist Tommy, der Sohn ihres ehemaligen Kommilitonen und Konkurrenten Mac McAllister. Plötzlich reißen bei Sarah alte Wunden auf und sie fühlt sich in die Zeit vor über 15 Jahren zurückversetzt, als sie selbst von einem Uni-Hausmeister brutal vergewaltigt worden ist. Noch dazu sorgt ein Aufeinandertreffen mit Britt McAllister, einer ebenfalls ehemaligen Kommilitonin und Mutter des Angeklagten dafür, dass Sarah beginnt, ihre Vergewaltigung mit dem aktuelleren Fall in Verbindung zu bringen. Aber gibt es die überhaupt? Ihr Verlobter, der GBI-Agent Will Trent und seine Partnerin Faith Mitchell unterstützen sie nach Kräften bei ihren Nachforschungen und das, was sie herausfinden, ist ungeheuerlich.
Manche Bücher fangen mit einem Paukenschlag an, andere hören mit einem auf. Dieses Buch hier schafft beides UND ist dazwischen rasant spannend mit sehr wenigen Erholungspausen für die Leserschaft. Die Geschichte ist hervorragend konzipiert und ausgearbeitet, die Autorin schont ihr Publikum bei den Beschreibungen wie immer nicht. Sie sind brutal, blutig und die Sprache ist oft vulgär und abstoßend. Wenn man Karin Slaughter kennt, weiß man, worauf man sich einlässt. Der Schreibstil ist fesselnd und der Spannungsbogen sehr hoch. Da ist man als Leser für ein paar Exkurse zu den Hochzeitsvorbereitungen von Will und Sarah (welches Kleid trägt sie und natürlich die Frage: lernt Will vor der Zeremonie tanzen?) dankbar. Und auch bei den Einblicken ins Privatleben von Faith mit ihrer neuen Beziehung zum FBI-Agenten Aiden Van Zandt kann man dann wenigstens mal Luft holen und die abgeknabberten Fingernägel beweinen. Wie immer ist es der Autorin auch gelungen, die psychologischen Komponenten der Geschichte voll auszuschöpfen, wobei sie wie gewohnt, mit dem „Kopfkino“ ihrer Leserschaft spielt.
Ein bedrückend realistisches Buch mit Einblicken in die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche und einem Eindruck davon, was passiert, wenn man den moralischen Kompass völlig verloren hat. Konkurrenzdenken, falsche Loyalität, gefährliche Freundschaften treffen auf echte und aufrichtige Gefühle und das alles gibt dem Buch nicht nur enormen Zündstoff, sondern macht es zu einem absoluten Pageturner.
Eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung von mir also, gäbe es da nicht ein „Aber“. Die Übersetzung ist in meinen Augen nicht wirklich gelungen. Als „Mensch vom Fach“ habe ich mir den Spaß gegönnt und mir das englische Original besorgt. Angesichts von mindestens einem Dutzend zum Teil gravierenden handwerklichen Fehlern frage ich mich, wie so etwas passieren kann. Das Buch hätte eine bessere Übersetzung und ein angemessenes Schluss-Lektorat verdient. Ein Beispiel gefällig? „Normalerweise hatten sie zu dieser Nachtstunde alle Hände voll mit Schuss- und Stichwunden, Autounfällen, Überdosen und einem gerüttelt Maß an Herzinfarkten zu tun.“ Und das ist beileibe nicht der einzige grobe Fehler, mehr aufzuführen würde aber hier den Rahmen sprengen.
Das Buch ist der elfte Teil der Reihe, man kann es aber gut allein lesen, aber ehrlich: wieso sollte man? Da das Buch aber sonst überragend gut ist, vergebe ich trotz der mangelhaften Übersetzung fünf Sterne und empfehle allen, die der englischen Sprache mächtig sind, sich lieber das Original zu besorgen.