Gar nicht so still ruht der See

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marionhh Avatar

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Ein See, genau an der Grenze zwischen Wales und England, ein kleines uriges walisisches Dorf auf der einen, ein modernes Neubaugebiet mit Ferienwohnungen auf der anderen Seite, deren jeweilige Bewohner sich misstrauisch beäugen und sich durch die anderen gestört fühlen. Um die Wogen zu glätten, gibt einer der Investoren, Rhys Lloyd, ein Kind des Dorfes und jetzt einigermaßen bekannter Sänger, eine rauschende Silvesterparty. Es gibt Champagner und Schnittchen. Am nächsten Tag beim Neujahrsschwimmen treibt ein Toter im See: Rhys Lloyd. Ermittlerin Ffion Morgan von der walisischen und Leo Brady von der englischen Seite sollen gemeinsam ermitteln. Was keiner ahnt: Die beiden hatten an Silvester einen One Night Stand miteinander und wollen ihre Bekanntschaft auf gar keinen Fall vertiefen. Der Fall Lloyd erweist sich als komplexer als gedacht und notgedrungen müssen die beiden ungleichen Ermittler kooperieren. Und bald stellt sich heraus, dass jeder mit Rhys Lloyd ein Hühnchen zu rupfen hatte, Ffion Morgan durchaus eingeschlossen.

Sehr spannender und ausgesprochen clever strukturierter Psychokrimi und pointierte Milieustudie, in dem keiner der Protagonisten die Wahrheit sagt und nichts ist, wie es scheint. Von der ersten Zeile an unglaublich fesselnd vermochte ich das Buch nicht aus der Hand zu legen, was sowohl an den vielschichtigen Charakteren als auch den detaillierten und bildhaften Umgebungsbeschreibungen lag. Die Autorin hat einen wundervollen Stil, man taucht direkt ein in den Plot und die Milieus, deren Vertreter, wie z.B. die Reality Soap Darstellerin, die abgehalfterten C-Promis, die Influencerin, die rebellische Jugendliche und viele mehr, glaubhaft und oft mit einer guten Portion Ironie dargestellt sind. Die Charaktere sind auch deshalb so überzeugend, weil sie jeder für sich eine Plattform bekommen, um die Geschehnisse zu kommentieren und die Motive für ihr Handeln und ihr Innerstes zu offenbaren. Die Gegenwart, die Zeit der Ermittlungen, erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Tagen und wird abwechselnd von Ffion und Leo erzählt. In Zeitsprüngen jedoch wird die Vergangenheit aus den verschiedenen Perspektiven aufgerollt und offenbart so nach und nach die tiefen Verletzungen und den Hass und was in der Silvesternacht wirklich geschah. Der Mord ist erst der Anfang für eine Reihe von Ereignissen, die die Ermittlungen und seine Aufklärung mit sich bringen, und die Welt ist danach nicht mehr, wie sie war. Es ist also keineswegs eine chronologisch erzählte Geschichte, die Spannung erschließt sich vielmehr subtil und langsam mit dem Aufdecken der Hintergründe. Jeder hatte ein Motiv, jeder ist sowohl Opfer als auch Täter, ist sowohl gut als auch böse.

So sehr die Perspektiven der einzelnen Personen fesseln, so fand ich die Persönlichkeiten von Ffion und Leo und ihre Geschichte am Faszinierendsten. Herrlich beider Kommentare über den anderen! Durch ihre Angst, Gefühle offenbaren zu müssen, deuten sie das Verhalten und die Äußerungen des anderen im kompletten Gegensatz zu dem, wie sie gemeint sind. Das ruft mehr als einmal skurrile Situationen hervor und bringt einen zum Schmunzeln. Naturgemäß haben sie den höchsten Anteil an Kapiteln, daran liegt es aber nicht nur, dass ich sie so bemerkenswert fand. Von Ffions sehr persönlicher Verstrickung in den Fall und der Entwicklung Leos lebt dieses Buch in einem sehr hohem Maße. So ist es denn auch mehr als logisch, dass Teil eins ziemlich genau auf der Hälfte des Buches mit einem Paukenschlag endet und ein neuer Teil aufgemacht wird, bei dem die Karten neu gemischt werden müssen. So erhalten die persönlichen Befindlichkeiten Ffions und Leos, ihr Privatleben und ihre persönlichen Niederlagen und Seelenqualen einen großen Raum, der Kriminalfall tritt aber niemals ins Hintertreffen, sondern ist immer präsent. So ist denn auch die Auflösung wie die ermittelnden Personen und die ganze Geschichte: überraschend, unkonventionell und zutiefst befriedigend.

Fazit: Müssen Sie lesen.