Fair-trade Drogen?

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
beust Avatar

Von

London im Jahre 2019: Nach dem Brexit ist das englische Wirtschaftsystem in Schieflage geraten, die Stimmung schlägt in Richtung „England den Engländern“ aus, und rassistische Extremisten in den rotweiblauen Farben des Union Jacks tragen die Gewalt auf die Straße und gehen gegen „Ausländer“ vor. In dieser leicht dystopischen Zukunft entwickelt Ellie ein herausragendes Geschäftsmodell im Drogenhandel: Sie liefert im Darknet bestellten feinsten Stoff per Drohne - schnell, sauber und zu fairen Preisen. Das kann der alteingesessenen Rauschgiftkamarilla nicht genehm sein: Sie macht Jagd auf „die Neue“ und kreist Ellie langsam ein. Auslöser der Jagd ist der Tod Gonzos, eines Laufburschen einer der Mafiafamilien: Eher aus Versehen wird er, als er wieder auf eigene Rechnung seine Kühe melken will, von einem Gastronomen getötet und stilecht einbetoniert, der einfach nicht mehr zahlen kann.

Die Stärke des Romans ist der ausgeklügelte Was-passiert-dann-Aufbau der Handlung: Ausgehend von Gonzos Good-bye-Vorstellung entwickelt sich eine Kaskade von Folgehandlungen, die in einem politisch heißen Straßenkampf und einer Regierungskrise mündet. Auf der Ebene der handelnden Personen spitzt sich die Konkurrenz zwischen Ellie und den Mafiaclans zu, Ellies Kontakte werden eingeschüchtert und sogar ermordet, die Mafiosi ergreifen immer härtere Methoden, die sogar vor der Bedrohung von Kindern nicht halt macht.

Ebenfalls gelungen ist das politische Panorama, das die Autorin für die Zeit nach dem Brexit entwirft: Die aufgeladene Atmosphäre, die sozialen Spannungen, der aufgestaute Rassismus, die hektischen Politmanöver der herrschenden Nomenklatura können so oder so ähnlich erwartet werden. In einem solchen „Conservative Turn“ ist eine Kampagne zur absoluten Verdrängung von Drogen aus der Legalität, d.h. eine harsche Law-and-Order-Repression sehr gut denkbar. Der „Druxit“, der Streetworker wie Mafiosi gleichermaßen umtreibt, ist ein gelungenes Instrument, einerseits die Handlung zu motivieren, andererseits das dystopische Panorama zu dynamisieren.

Was heißt eigentlich Druxit? Dass ich erst nach etwa einhundert Seiten auf die Lösung kam, hat nicht nur mit meiner Begriffsstutzigkeit zu tun, sondern auch mit der Tendenz der Autorin, vieles im Unausgesprochenen zu lassen. Der Leser kann nicht ahnen, dass Ellie nicht nur ein geldgeiler Drogenboss ist, die mittels überlegener Technik die archaischen Schlägertypen der Mafia aus dem Geschäft drängen will, sondern vor allem handelt, um den Streetworkern ihre Arbeit zu finanzieren, der Anti-Druxit-Kampagne Geldmittel zu verschaffen und schließlich ihr Gewissen zu beruhigen, auf dem der Drogentod ihre Bruders lastet.

Langsam schält ich die Motivation hinter „der Lieferantin“ heraus, und siehe da: Der tote Bruder ist unschuldig in Not geraten, auf die schiefe Bahn gekommen und schließlich an schlechtem Zeug verreckt. Auch bei anderen Sympathieträgern des Romans ist der Tenor „unschuldig in Not geraten“; oder der Lieferant der Lieferantin ist ein Polizeispitzel, der an Leute, die er sympathisch findet, astreinen Stoff liefert, ohne die Behörde zu informieren. Das ist so platt wie fragwürdig. Denn es scheint, dass diese Hintergründe notwendig sind, um Ellies illegales Geschäft zu einer Art „Fair-trade-Drogenhandel“ zu gestalten, der irgendwie nicht so schlimm ist. Wie Robin Hood trägt Ellie ihre Gewinne ja auch in gemeinnützige Kampagnen und bereichert sich nicht selbst (ihre Zwischenhändler tun es allerdings). Über allem schwebt der politische Grundgedanke, es sei „nicht Sache der Regierung, erwachsenen Menschen vorzuschreiben, was sie mit ihren eigenen Körpern anstellten.“ (S. 56) Ellie versteigt sich sogar zu der agitatorischen Phrase, es gehe nicht ums dicke Geld, sondern „um die Sache. Um die Freiheit. Darum, dass erwachsene Menschen zugestanden werde, Entscheidungen für sich zu treffen, nachdem sie sich informiert hatten und wussten, welche Risiken sie eingingen.“ (S. 56)

Das ist freilich eine politische Gretchenfrage, mit der auch steht und fällt, ob man die Protagonistin des Romans annimmt oder ablehnt. Wenn man nicht für die Legalisierung von Drogen ist, hat meine seine Schwierigkeiten, mit Ellie mitzufiebern.

Diese Grundfrage schwächt meinen Leseeindruck erheblich, hinzu kommen die oben erwähnten verkürzten Darstellungen oder verspäteten Erläuterungen, die einem die Annäherung an andere Figuren erschweren, weil sie blass oder schablonenhaft bleiben, um nicht das böse Wort Klischee zu verwenden.

Alles in allem also ordentliche Unterhaltung mit Brexitwürze und einer tollen Handlungskaskade, aber gewiss nicht jedermanns Sache.

Ach ja: „Druxit“ = Drugs + Exit.