Geschichtsstunde mit Schwächen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
throughmistymarches Avatar

Von

In "Die Lungenschwimmprobe" wird ein realer Fall aus Leipzig erzählt, der im Jahr 1681 seinen Lauf nimmt: die erst 15-jährige Anna Voigt wird beschuldigt, ihr Neugeborenes getötet zu haben. Ein Vorwurf, der damals zahlreichen jungen Frauen zum Verhängnis wurde und oft in grausamen Verurteilungen endete. In Annas Fall allerdings steht ihre Familie hinter ihr; ihr Vater hat die Mittel, um einen Anwalt zu engagieren. Glücklicherweise fällt seine Wahl auf einen Wegbereiter der Aufklärung, der sich für eine Trennung von Rechtsprechung und Religion einsetzt. Ein weiterer „Pionier“, ein Arzt, führt eine neue forensische Untersuchung durch, die sogenannte Lungenschwimmprobe, mit der man eine Totgeburt nachweisen kann. Wie nicht wenige wissenschaftlichen Erkenntnisse, wird diese nicht nur angezweifelt, sondern teils sogar verteufelt.

Der norwegische Autor Tore Renberg hat jahrelang recherchiert, um Annas Geschichte zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ihr Anwalt, Christian Thomasisus, ein Gegner von damals gängigen Praktiken wie Hexenprozessen und Folter – eine faszinierende Figur der Zeitgeschichte.

Doch bedauerlicherweise tritt Anna, die zentrale Figur, in den Hintergrund. Während Thomasisus im Mittelpunkt steht, bleibt die junge Frau oft im Schatten, was in einem Roman, der sich mit dem Unrecht an Frauen auseinandersetzt, schon ein wenig enttäuschend ist. Da hatte ich definitiv andere Erwartungen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Länge des Werkes. Renbergs akribische Recherche zeigt sich in einem Übermaß an Details und oft wirkte es so, dass sie alle ihren Weg in den Roman finden sollten, was den Lesefluss gelegentlich hemmt (v.a. bei 700 Seiten). Manchmal hatte ich den Eindruck, der Roman hätte als Sachbuch besser funktioniert.

Die Geschichte und das Thema sind zweifellos fesselnd und teilweise erschreckend aktuell, doch als Roman blieb „Die Lungenschwimmprobe“ hinter meinen Erwartungen zurück. Daher nur eine eingeschränkte Empfehlung: Wer sich an den teils zähen Passagen nicht stört und darüber hinwegsehen kann, dass die weibliche Hauptfigur nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält, wird diesen historischen Roman sicherlich mehr genießen als ich.