Im Geiste des Barocks
Tore Renberg ist es mit seinem Roman „Die Lungenschwimmprobe“ gelungen, den Alltag im deutschen Barockzeitalter lebendig werden zu lassen. Auf der Basis eines wahren Falles aus dem 17. Jahrhundert, widmet er sich ausführlich der Lungenschwimmprobe, quasi einem der Ursprünge der Gerichtsmedizin. Neben diesem Meilenstein befasst sich der Roman mit der Medizin, der anwaltlichen Tätigkeit und Gerichtsbarkeit der damaligen Zeit, dem Widerstreit zwischen Tradition und beginnender Aufklärung und der Profession des Scharfrichters. So entsteht in dem 700 Seiten langen Text ein Panoramablick auf Glauben und Begehren der Epoche, dass nicht zuletzt deshalb so authentisch wirkt, weil es Renberg gelingt, sich auch sprachlich auf Wortwahl und Duktus des 17. Jahrhunderts einzulassen, allerdings ohne dass der Text sperrig oder unlesbar würde (hier auch mein Kompliment an die Übersetzerinnen) – im Gegenteil: ein noch tieferes Eintauchen in die beherrschende Gedankenwelt der Ära wird so noch ermöglicht. Dazu trägt auch die Verwendung von Bearbeitungen von Originalquellen bei, die jedoch zu umfangreich in den Text eingebaut werden. Gerade wenn es um Predigten oder religiöse Traktate geht, wird der Text doch sehr langatmig und viel zu weitschweifig. Das mag alles zum Geiste des Barocks passen, für den heutigen Leser ist es jedoch allenfalls von mäßigem Interesse.
Ähnliches gilt auch für die Struktur des Romans. Dieser ist nicht chronologisch aufgebaut und spielt mit verschiedenen Textsorten: mal wird ein Gedicht eingefügt, mal meldet sich das Alter Ego des Autors selbst zu Wort. So erfrischend und abwechslungsreich der Aufbau des Romans auch ist, mitunter hat man als Leser das Gefühl, dass hier künstlich Volumen und Länge geschaffen werden – die Handlung dreht sich im Kreis und kommt nicht recht voran. Viele Ereignisse zeichnen sich früh ab bzw. werden vorweggenommen, was zu Lasten der Spannungskurve geht.
„Die Lungenschwimmprobe“ hat mich bei aller Weitschweifigkeit und Üppigkeit dennoch begeistert und beeindruckt, weil sie es schafft, eine längst vergangene und weit von unserer Lebenswirklichkeit entfernte Welt überaus nachvollziehbar auf die Seiten zu bannen. Der Roman ist spannend und anspruchsvoll und begeistert vor allem auch durch seine Detailfreude und seine fundierte Recherche. Sicherlich hätte es noch deutliches Potenzial für Kürzungen gegeben und auch die eingewobene Rachegeschichte hat mich nicht ganz überzeugen können, insgesamt ist der Roman aber eine empfehlenswerte Lektüre, die den eigenen Horizont nachhaltig erweitert.