Der Traum von Reichtum und Macht

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

 

In seinem neuen Roman “Die Marseille Connection” beschreibt Massimo Carlotto nicht die Aktivitäten einer Bande, wie der deutsche Titel suggeriert, sondern die Länder und Kontinente übergreifenden neuen Formen der Kriminalität. Marseille als Tor zu Afrika und zur arabischen Welt wird dabei nicht zufällig als Beispiel gewählt. Carlotto stellt die Stadt als Drehscheibe des Drogen- und Waffenhandels dar. Hier agieren osteuropäische Banden, Albaner, lateinamerikanische Drogendealer, transnistrische Terroristen und Waffenhändler, der russische Geheimdienst, Babygangs, Mafiosi aus der Region und eine Gruppe von angesehenen Persönlichkeiten, die sich ebenfalls lukrativen kriminellen Aktivitäten verschrieben haben. Da hat der alte korsische Pate Armand Grisoni einige Mühe, sein Territorium gegen immer neue Konkurrenten am Markt zu verteidigen. Mit dem Korsen hat Kommissarin Bernadette Bourdet einen Stillhaltepakt geschlossen, seit sie nur noch inoffiziell mit ihrem Team von drei ausgemusterten Polizisten der Drogenfahndung zuarbeitet. Mit ihrem ersten Versuch, die Bremond-Clique - bestehend aus dem Bauunternehmer Matheron, dem Bankdirektor Rampal, dem Immobielienhändler Vidal, dem Notar Tesseire und dem korrupten Abgeordneten Bremond - vor Gericht zu bringen, ist sie gescheitert und musste das Karriere-Aus hinnehmen. Jetzt sammelt sie unerlaubterweise erneut Beweise gegen die Clique, denn sie liebt ihre Stadt und will sie vom Verbrechen säubern. Sie kennt keine Skrupel und ist genauso grausam wie die Verbrecher, die sie so hartnäckig verfolgt. Gern lässt sie ihre Opfer in einer stillgelegten Konservenfabrik foltern, um sie zur Kooperation zu zwingen oder Informationen zu erpressen.

Es gibt eine zweite wichtige Gruppe von Kriminellen. Es sind Sosim, Sunil, Inez und Guiseppe, vier Freunde, die sich in Leeds beim Studium kennengelernt haben. Sie sind nur zufällig in Marseille gelandet, weil Ex-Mafioso Sosim nach dem Verrat seiner Mafia-Organisation an den russischen Inlandsgeheimdienst von seiner Führungsoffizierin Ulita Winogradowa gezwungen wird, in Marseille Geschäfte anzubahnen. Die vier jungen Leute sind bereits in Organhandel, illegale Giftmüllentsorgung und Handel mit verstrahltem Holz aus Tschernobyl verstrickt, bauen aber in Marseille gerade erst ihre Operationsbasis auf und haben hier noch keine Verbrechen begangen. Ins Visier von Bernadette Bourdet geraten zwei von ihnen - Sosim und Sunil - nur, weil sie sich mit der Bremond-Clique treffen, den Zielpersonen der Kommissarin, die Sosim mit allen verfügbaren Mitteln zwingen will, ihr zu den benötigten Beweisen gegen die Bremond-Clique zu verhelfen. Wird sie es dieses Mal schaffen, die mächtigen Männer zur Strecke zu bringen? Sie hat für den korsischen Paten eine Prostituierte aus der Gewalt der Albaner befreit. Wird sie auf ihn zählen können, wenn es darauf ankommt?

Carlottos neuer Roman liest sich wegen der Vielzahl von Personen und Handlungselementen nicht gerade mühelos. Die Allgegenwart des Verbrechens ist niederschmetternd, die Brutalität von Gangstern und Polizei schwer verdaulich. Niemand ist hier sympathisch, die Bösen mit ihrer Grausamkeit, ihrem Zynismus und ihrer Skrupellosigkeit sowieso nicht, aber auch nicht die Repräsentanten der Guten, vor allem nicht die brutale, hässliche Bernadette Bourdet mit ihrem Team. Mir hat der Roman nicht gefallen. Carlottos Darstellung einer von Verbrechern dominierten Welt macht Angst.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Klappentext. Der Verfasser liegt mit seiner Zusammenfassung voll daneben, scheint die Dromos-Gang der vier jungen Leute mit den fünf (!) Mitgliedern der Bremond-Clique zu verwechseln, auf die das Merkmal der neuen “Kriminalität in Nadelstreifen” zutrifft und über deren Aktivitäten Kommissarin Bourdet Bescheid weiß. Wieso merkt das eigentlich niemand beim Verlag?

 

I