Der lange Weg zu sich selbst

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jackolino Avatar

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Der spanische Autor Fernando Aramburu legt einen Roman über einen Mann vor, der vom Leben enttäuscht ist.
Heute liebt er nur noch seinen Hund. Er fasst den Entschluss, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen. Am 31. Juli beginnt das letzte Jahr, und dieser Roman hat 365 Kapitel, eins für jeden Tag, wobei die Kapitel-Zählung mit jedem Monat wieder neu beginnt. Dieses letzte Jahr wird zu einer Abrechnung mit seinem Leben. Er gewöhnt sich an, täglich ein paar Zeilen persönlicher Chronik aufzuschreiben. Einen Adressaten dafür hat er nicht, wie er selbst sagt: er schreibt es für niemanden auf. Toni kommt im ersten Teil des Buches nicht wirklich sympathisch rüber und obwohl man doch Mitleid mit ihm haben sollte angesichts seiner tiefgreifenden Entscheidung, so lässt einen das ziemlich kalt. Soll er doch, seine Entscheidung!
Er denkt über seine Kindheit, seine Eltern, seinen Bruder nach. Er fängt an, sich von Ballast in seiner Wohnung zu befreien. Ballast scheint für ihn beides zu sein, seine Erinnerungen genau so wie seine Wohnungseinrichtung. Er verteilt seine Bücher in der Stadt in der Hoffnung, Leser für sie zu finden und reflektiert noch einmal über seine Ehe, seinen Sohn, der doch nicht so geriet, wie er sich das erhofft hatte. Doch da ist auch noch Humpel, sein einziger Freund, dem er sogar seine Gedanken und Pläne anvertraut. Und an manche früheren Freundinnen erinnert er sich auch mit Wehmut, schade, was das Leben aus ihnen gemacht hat.
Und irgendwann, nach ca. 2/5 des Buches beginnt sich das Blatt langsam zu wenden. Dieser Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, lässt ihn Dinge anders erleben. „Ich könnte schwören, dass das Leben angefangen hat, mir Spaß zu machen, seit ich weiß, dass ich den Hebel in der Hand habe, um es zu beenden“. Unmerklich wird unser Antiheld auch sympathischer. Er unterstützt ohne großes Nachdenken die teure Krebs-Therapie seiner Nichte, die es dann aber trotzdem nicht schafft. Er geht nicht länger seiner früheren Freundin Agueda aus dem Weg, sondern freut sich manchmal sogar schon auf ihre „rein zufälligen“ Zusammentreffen. Entscheidungen treffen hebt meine Stimmung, sagt er irgendwann und so ist es der Übergang von der Passivität in die Aktivität, die ihn wieder mehr am Leben teilhaben lässt.

Das Buch liest sich einerseits gut. Keine ellenlangen Sätze, wenig Einschübe, die das Lesen erschweren würden. Das Buch liest sich andererseits aber auch nicht flüssig, weil es keine fortlaufende Handlung ist. Man kann es nicht einfach hinlegen und am nächsten Tag der Handlung weiter folgen, es kann sein, dass schon wieder ein ganz anderer Handlungsstrang zum Tragen kommt. Da denkt er einmal an frühere Kommilitonen, dann an seine Mutter und seinen Bruder und er schildert es so, wie es ihm in den Kopf zu kommen scheint. Außerdem springt er in seiner Erinnerung, nichts läuft chronologisch ab. Mal erinnert er sich an seine Kindheit, einen Tag später analysiert er die Krankheiten seines Freundes Humpel oder reflektiert seine zerbrochene Ehe.

Das Cover mit einer regennassen Straße zwischen hohen Häuserzeilen, auf denen ein einsamer Mann mit seinem Hund spazieren geht, passt gut zum Buch. Obwohl hinter all den bunten Fassaden Menschen wohnen, kann man sich einsam und als Außenseiter fühlen, der Regen und die Pfützen verstärken die negative Stimmung. Aber in der Pfütze spiegelt sich schon blauer Himmel, offenbar ist da doch noch Licht am Ende des Tunnels.

Mit dem Buchtitel „Die Mauersegler“ tue ich mich schwerer. Toni selbst vergleicht sich mit einem dieser Vögel, als er immer mehr von seinem Besitz in der Stadt verteilt. Es gebe ihm das „Gefühl von Leichtigkeit, von schwerelosem Aufstieg in die Lüfte hin zur ersehnten Verwandlung in einen Mauersegler“. Das ist zumindest eine Erklärung, trotzdem hätte mir vielleicht ein anderer Titel besser gefallen.