Dynamit im harmlosen Cover

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
diebuecherweltenbummlerin Avatar

Von

Die Mauersegler

Toni setzt sich eine Deadline. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn in genau 365 Tagen wird er sich das Leben nehmen. Als er seinem Freund Humpel von seinem Vorhaben erzählt, ist dieser hellauf begeistert und stürzt sich in die Recherche, um es ihm gleichzutun. Bis zum besagten Tag führt Toni Tagebuch. 365 Einträge, geprägt von seiner Vergangenheit, einer tiefen Verbundenheit zu seinem Hund und einer überraschenden Begegnung porträtieren ein Bild, das eine ganze Historie in sich trägt.

Toni. Seine Geschichte klingt zunächst melancholisch romantisch. Ein Einsamer, der seinen Weg beenden möchte, und zurückblickt auf die Strecken, die er bereits hinter sich hat. Allerdings revidiert er das Bild, das sich die Leser*innen von ihm machen, selbst. Indem er von seinen Fantasien spricht, in denen er seiner Chefin in den Bauch schießt. Oder darüber triumphiert, wie er es schafft, dass sich seine Frau wie eine Prostituierte aufführt. Und schon verblasst das Bild des melancholischen Einsamen.

In "Die Mauersegler" scheint so oft eine Verachtung gegenüber Frauen durch, dass es an einen Michel Houellebeque in Höchstform erinnert. Gleichzeitig ist die Biografie des Protagonisten von Enttäuschung geprägt. Er, der seinen kommunistischen Vater enttäuscht. Sein rechtsradikaler Sohn, der jeden enttäuscht. Die Enttäuschung in dem Beruf als Lehrer. Und die eheliche Enttäuschung überhaupt. Wie ein Misanthrop wirkt Toni. So sehr in seiner Geringschätzung versunken, dass es unmöglich scheint, diesen Mann zu mögen. Und doch habe ich das Gefühl, dass er vielen aus der Seele spricht. Weil er sich traut, seine Gedanken niederzuschreiben, die wir uns nicht wagen würden auszusprechen. Weil er nichts mehr zu verlieren hat. Weil er Mut beweist in seiner hässlichen Ehrlichkeit.