Entwicklung

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kaffeeelse Avatar

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Ich habe mich auf den neuen Roman von Fernando Aramburu gefreut, habe gleichzeitig aber auch etwas Angst gehabt. Denn mit "Patria" hatte mich der Autor erreicht und begeistert. Dies baut ja einen gewissen Druck, gewisse Erwartungshaltungen auf. Dies ist sicher nichts Hilfreiches, ist aber dennoch so. Nun ist aber "Die Mauersegler" thematisch von "Patria" weit entfernt. "Patria" blickt auf eine Gemeinschaft, blickt auf den Horror, blickt auf den Terror und beleuchtet die Folgen aus diesem schrecklichen Tun. "Die Mauersegler" schaut aber eher auf einen Mann, blickt auf dessen Denken, blickt auf einen Antihelden. Einen nicht wirklich sympathischen Charakter. Dies macht es der Leserschaft in meinen Augen auch sehr schwer sich auf diesen Antihelden Toni einzulassen. Denn dieser macht es der Leserschaft natürlich nicht einfach. Dennoch entsteht nach und nach in mir eine Neugier, den Fernando Aramburu erschafft diesen Toni nicht nur in einem sehr negativ wirkenden Charme, er beschreibt auch das Warum, er lässt die Leserschaft verstehen, wenn man denn verstehen will. Denn natürlich gibt es Gründe, warum Menschen zu den Personen werden, die sie sind. Und diese Gründe, diese Zeichnung eines Menschen, diese Einblicke in eine Seele lassen mich dann nach und nach den verdienten vierten Stern zücken. Denn dieses Psychogramm des Toni in seiner Tiefe verdient Aufmerksamkeit, lässt Erinnerungen an die Zeichnungen der Charaktere in "Patria" hochkommen, lässt mich schneller durch dieses Buch schweben. Allerdings braucht man eine gewisse Zeit um warm zu werden mit diesem doch recht patriarchalen und damit doch sehr abstoßenden Toni. Und obwohl Fernando Aramburu hier eher auf einen Menschen schaut, gelingt es ihm dennoch auch Blicke auf ein Land einzubauen, Blicke auf Spanien zu ermöglichen. Kritische Blicke. Blicke, die nachdenklich machen. Denn diese Tonis gibt es wohl überall. Wenn man denn genauer hinschaut. Diese sich von der Welt verraten fühlenden Männer, diese von der Weiblichkeit verletzten Männer, die aber nicht weiterblicken können und/oder wollen. Denn diese Schuldzuweisungen an Andere machen den Blick auf das eigene Sein runder/einfacher/lebbarer/sinnvoller. Bis es das dann nicht mehr lebbar ist und es zu gewissen Reaktionen kommt. Reaktionen, die ein soziales Netz abfedern könnte, wenn man denn eines hat!
Fernando Aramburu hat mit "Die Mauersegler" ein lehrreiches Buch verfasst, dessen Zauber man aber erst nach und nach in der Lektüre erkennt. Ein Buch, welches bis auf die Tiefe der Charakterzeichnung so gar nichts mit "Patria" zu tun hat. Ein Buch, welches aber dennoch berührt, wenn man sich denn auf diesen doch sehr abstoßenden Toni einlassen kann.