Flug der Seele

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bobbi Avatar

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Fernando Aramburu gehört zu den wichtigsten und vielfach ausgezeichneten Autoren Spaniens – sein neues brillantes und bittersüßes 830-Seiten-Epos „Die Mauersegler“ dreht sich um die ungefilterte, zynisch-lakonische Gedankenwelt eines lebensmüden Mittfünfzigers in Madrid.

Toni ist Philosophielehrer am Gymnasium, lebt gelangweilt nach einer Scheidung alleine mit Hündin Pepa sowie der Sexpuppe Tina und hat ein großes Problem: Er mag seine Existenz nicht und dreht sich mit immensen Selbstmitleid im Kreis. Also beschließt er in genau einem Jahr Selbstmord zu begehen und bis dorthin jeden Tag pedantisch über die Ereignisse Tagebuch zu führen – eine Art Nachlass für Sohn Nikita und Abrechnung mit seinem bisherigen Leben und die facettenreichen Umstände außenherum.

Aus diesen intimen und philosophisch angehauchten Tagebucheintragungen setzt sich ein umfassendes tiefgründiges Bild von Tonis melancholisch-spöttischer Gedankenwelt und seinem Lebensweg zusammen – mitunter roh und derb, aber auch humorvoll-bissig pendelt er zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die wenigen Menschen, die Toni noch umgeben wie Busenfreund Humpel, aber auch vergangene große Lieben und ein Sohn, der sich wenig blicken lässt, beschäftigen ihn nachgehend. Im Fokus stehen Dinge, die Toni nicht mag und das macht er sehr deutlich – seien es politische oder private Angelegenheiten. Aber auch seine sexuelle Triebkraft und sein Auge für schöne Details und Menschen machen einen Großteil seines Blickwinkels aus und Toni scheut auch nicht vor expliziter Detailverliebtheit in seinen schriftlichen Aufzeichnungen voller Tragikomik.

Fernando Aramburu hat kein leichtes, aber tiefgründiges Werk voller satirischen und lebensklugen Alltagsbeobachtungen eines intellektuellen und missmutigen Einsiedlers geschaffen, der die Mauersegler und ihre grazilen Flüge liebt – sie durchziehen das grandiose und nachdenkliche Werk wie ein roter Faden und symbolisieren auch Tonis Seele und Erinnerungen in schwirrender Bewegung. Wird er ein Funken Lebensfreude zurückfinden oder den Selbstmord begehen? Mit subtiler Spannung und einer feinsinnigen Konstruktion geht Aramburu berührend den großen Fragen des Lebens mit all seinen grotesken Oberflächlichkeiten und Schönheiten nach. Dabei verwebt er gekonnt auch politische Umbrüche und familiäre Traumata im Land mitein. Eine sehr umfangreiche und fordernde, aber lohnenswerte und packende Lebensbilanz!