Geschichte eines Antihelden

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
petris Avatar

Von

Fernando Aramburo hat mich mit seinem ersten Roman „Patria“, in dem es um die ETA ging und wie dieses Thema Familien und ganze Dörfer spaltete. Es war ein unglaubliches Werk, sehr vielschichtig, sehr differenziert. Für mich ein Meisterwerk. Schon deshalb wollte ich den neuen Roman dieses Autors lesen.
„Die Mauersegler“ ist allerdings völlig anders. Und ich muss sagen, am Anfang kämpfte ich ein wenig mit der Enttäuschung. Denn Toni, dessen Erinnerungen und Gedanken wir in einer Art Tagebuch folgen, ist alles andere als ein Sympathieträger. Seine Ehe ist gescheitert, als Vater war er nicht erfolgreich, seinen Beruf als Philosophielehrer in einem Gymnasium macht er wohl nicht schlecht, allerdings fehlen ihm Begeisterung und Liebe dafür. Seine Kindheit war von Sprach-, Lieblosigkeit und vielen Ohrfeigen geprägt. Zu seinem Bruder hatte er nie ein gutes Verhältnis. Kein wirklich glanzvolles Leben. Und so beschließt er, es genau in einem Jahr zu beenden. Zu jedem Tag gibt es einen Abschnitt. Toni nervt gewaltig, er ist ein Macho, er ist selbstmitleidig, er ist alles andere als sympathisch. Wir lesen seine Gedanken völlig ungefiltert, das ist manchmal ganz schön heftig. Allerdings ist das wohl immer so mit ungefilterten Gedanken. Nach und nach versteht man etwas besser, wieso er so geworden ist, wie er ist, immer wieder kommen auch seine großzügigen und netten Seiten durch (wenn auch selten). Und nebenbei entsteht ein sehr aktuelles Bild Spaniens. Auch das ungefiltert und unkommentiert.
Je länger ich las, desto mehr konnte ich die Begeisterung der Kritik und anderer Rezensentinnen verstehen. Es ist ein großer, sehr aktueller Roman. Man braucht dafür etwas Geduld (schon wegen seines Umfangs, es sind mehr als 800 Seiten), denn es ist kein Roman der gefällig sein will.
Natürlich wird hier nicht verraten, ob Toni am Ende dieses Jahres sein Vorhaben umsetzt. Allerdings so viel kann ich sagen: Der Schluss ist berührend und sehr gelungen.