Verstörend faszinierte Familiengeschichte

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„Mein Gott, denke ich, wie konnte es passieren, dass meine Familie zu einem Sprachrohr für Hitler geworden ist?“ Diese Frage stellt sich die Älteste der Mitford-Schwestern-Nancy Mitford zugehörig zu einer Gruppe junger, englischer Aristokraten und Bohemiens nach dem ersten Weltkrieg, den sogenannten Bright Young Things.

Dabei sind sie und ihre fünf Schwestern allein durch ihre Herkunft und verwandtschaftlichen Beziehungen (unter anderem mit Winston Churchill) allesamt sowohl auf der gesellschaftlichen als auch literarischen und politischen Bühne Englands omnipräsent und beeinflussen diese auch direkt und indirekt. Eine Familie die mindestens drei Schriftstellerin hervorgebracht hat und deren einzelne Angehörige sowohl dem Kommunismus/Sozialismus als auch dem Faschismus zugeneigt waren. Zwei ihrer Schwestern engagieren sich sogar aktiv für den Faschismus und aufkeimenden Nationalsozialismus, eine gefährliche politische Strömung die in den 1920ziger Jahren nicht nur in Deutschland, Spanien und Italien an Macht gewinnt, sondern weltweit, davon bleibt auch England nicht verschont.

Die Autorin Marie Benedict beleuchtet in Ihrem Roman „Die Mitford-Schwestern“ hauptsächlich das Leben und Wirken der drei Schwestern Nancy (Autorin und höchstwahrscheinlich Spionin), Diana (Diva und machtversessen) und Unity (Hitlers englischer Groupie). In wechselnden Kapiteln bekommen alle drei Schwestern ihre Auftritte und „schildern“ wie in einem Tagebuch die Geschehnisse. Das hatte für mich, als Leserin eine gewisse Übersichtlichkeit. Einzig die vielen Spitznamen die sich die Familienmitglieder untereinander gaben und die auch mehrfach erwähnt werden, störten mich ein wenig und bremsten den Lesefluss. Es ist eine unglaubliche Familiengeschichte über junge Aristokratinnen die auf die ein oder andere Weise, und jede für sich am Weltgeschehen aktiv teilgenommen haben und deren Charakterzeichnung durch die Autorin für mich recht authentisch dargestellt wird.

Dieses Buch verdeutlicht einmal mehr die politischen Umbrüche in jener Zeit und es werden erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit sichtbar. Mit einer gewissen Distanz und dem Privileg weit nach dieser Zeit geboren worden zu sein, ist die Geschichte der Mitford-Schwestern ungemein faszinierend für mich. Ich hätte nur gerne mehr über die „rote“ Schwester gelesen, deren politische Aktivitäten werden leider nur kurz erwähnt.

In ihren Anmerkungen am Schluss ist die Autorin für mein Verständnis ein bisschen zu erschüttert über den politischen Werdegang einiger Familienmitglieder der Mitfords, die doch so privilegiert waren. Nationalsozialismus und Faschismus schrecken mich genauso ab, jedoch war (ist!) das Erstarken dieser beiden politischen Extreme weder von Nationalität, Bildungsgrad und gesellschaftlichem Status abhängig. Bei letzterem ist nur der Einfluss am Größten.
Bedauerlicherweise haben wir es heute, 90 Jahre nach den Geschehnissen die Marie Benedict in ihrem Buch schildert, wieder mit einer enormen rechten Strömung in Europa und Nordamerika zu tun. Die Gründe sind nicht dieselben, jedoch: „Haben wir nichts gelernt?“