Himmelschreiende Ungerechtigkeit

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caro.booklover Avatar

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Von "Underground Railroad" war ich begeistert und freute mich auf den neuen Roman von Colson Whitehead. Auch in diesem Buch widmet er sich dem Thema Rassismus und lehnt die fiktive Geschichte an wahre Begebenheiten an. Im Nachwort ordnet er den realen Hintergrund genauer ein. Es ist eine schockierende Geschichte. Elwoods Schicksal haben viele andere schwarze Jugendliche geteilt, vor allem in der damaligen Zeit. Diese unglaubliche Ungerechtigkeit, nicht nur in der Besserungsanstalt sondern auch in der Zeit davor, ging mir nah. Trotzdem bleibt eine Distanz erhalten, die beim Lesen nicht überwindbar scheint und mir ein großes Stück Emotionalität nahm. Das mag an der Erzählperspektive aus der 3. Person liegen, die ich aber im Gesamtkontext eigentlich extrem gut gewählt fand (mehr kann ich dazu nicht schreiben, ohne zu spoilern). Literarisch fand ich es manchmal schwierig. Whitehead nutzt eigentlich eine sehr angenehme Sprache, aber manche Sätze waren für mich einfach unverständlich. Irgendwie hochtrabend aneinandergereiht, sodass sich der Sinn auch nach mehrmaligem Lesen nicht ganz erschloss. Ich bin nicht sicher, ob das an der Übersetzung liegt. Da sind mir manchmal schon haarsträubende Dinge begegnet, insofern kann man es dem Autor vielleicht gar nicht anlasten.
Die Rahmenhandlung bildet eine archäologische Ausgrabung in der Gegenwart, die einen nicht markierten Friedhof neben dem inzwischen aufgegebenen Anstaltsgelände zutage fördert. Danach lernt man den Protagonisten Elwood kennen, seine Kindheit und Jugend bis zur Verhaftung. Im weiteren Verlauf wechseln die Kapitel zwischen Szenen aus dem Nickel und der Gegenwart bzw. den Jahren dazwischen. Das alles wird so episodenhaft geschildert, dass man häufig das Gefühl hat, die Geschichte sei nicht zu Ende gedacht, zu sprunghaft. Manchmal fand ich die Wechsel regelrecht wirr. Der Roman geht nicht sehr ins Detail. Es wird zwar das Schicksal einiger Jungs porträtiert, aber am Ende hat man das Gefühl, eigentlich nicht viel über sie erfahren zu haben. Ich muss nicht 100 Seiten lang über verschiedene Misshandlungen lesen, das Vorstellungsvermögen reicht vollkommen aus. Und das bietet der Roman glücklicherweise auch nicht. Die Charaktere allerdings hätten tiefer ausgearbeitet werden müssen, um wirklich persönlich erreichen zu können. Ihr inneres Gefühlsleben wird nur oberflächlich dargestellt. Dass das Erlebte bis in die Gegenwart nachwirkt, ist klar. Aber auch hier war mir die Darstellung emotional zu abgestumpft, fast schon sachlich. Nur hin und wieder blitzt doch so etwas wie eine stärkere Emotion durch. Das fand ich sehr schade und nehme es bei einem Roman als verschenktes Potential wahr. Die Geschichte hätte mehr geboten und auch ein dickeres Buch gerechtfertigt.

Fazit:
Auf den gut 200 Seiten streift man episodenartig die weitreichende Ungerechtigkeit, mit der die schwarze Bevölkerung in den 60er Jahren und danach zu kämpfen hatte. Die Gefühlswelt der Charaktere bleibt leider an der Oberfläche und kann so auch den Leser nicht vollständig durchdringen. Sehr gut hat mir der Plottwist gefallen, der erzählerisch wunderbar gelöst ist und mir deshalb einen Bonusstern wert ist. Abgesehen davon ist es aber ein eher durchschnittliches Buch über dieses wichtige Thema.