Kein Unterhaltungsroman

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tochteralice Avatar

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Wieder einmal ist es richtig starker Tobak, den Colson Whitehead hier seinen Lesern vorsetzt und wieder einmal sind es wahre Ereignisse, die die Grundlage der Handlung bilden. Im Gegensatz zum preisgekrönten Vorgängerroman des Autors, "Underground Railroad" spielt dieser in der jüngeren Vergangenheit - in einer, die die älteren Leser schon bewusst miterlebt haben dürften, nämlich in den frühen 1960er Jahren.

Der Protagonist Elwood wächst bei seiner Großmutter in Florida in einfachen Verhältnissen auf und ihm ist schon klar, dass er nicht gerade die rosigsten Zukunftsaussichten hat. Dafür hat er die falsche Hautfarbe. Aber er kennt und verehrt Martin Luther King und dessen Aussagen geben ihm Hoffnung. Diese vermag er, ein Musterschüler und auch sonst ein Mensch mit Visionen, so sehr mit Taten und Erfolgen zu füllen, dass sein Collegebesuch trotz magerer Finanzen unmittelbar bevorsteht. Denn so ein besonderer junger Mensch hat Unterstützer und Befürworter.

Doch gleich am ersten Tag passiert etwas auf dem Weg ins College, das Elwood sämtliche erfreuliche Zukunftsaussichten begraben lässt: er gilt nun als kriminell und kommt in eine Besserungsanstalt und wird zu einem der Nickel Boys - so werden die Insassen dieser Einrichtung genannt. Und lernt, dass seine bisherigen Werte hier nichts gelten.

Ein Roman, dessen Handlung voller Ungerechtigkeit, Hass, Mißachtung und Niedertracht ist, voll von Ereignissen, die man während der Lektüre gar nicht glauben will, selbst wenn man bereits so einiges über die Rassentrennung weiß. Hier hat man den Leidensweg der afroamerikanischen Bevölkerung der vereinigten Staaten bildlich vor Augen, selbst wenn dies nur ein kleiner Ausschnitt davon ist.

Schmerzhaft ist diese Lektüre und mich hat sie auch wütend gemacht. Ganz schön sauer war ich darauf, was gewisse Menschen in der Vergangenheit nur wegen ihrer Hautfarbe erleiden mussten.

Colson Whitehead kleidet seine Botschaften in genau die richtigen Worte, er dramatisiert nicht. Und das ist auch nicht notwendig, denn die Ereignisse sind auch so extrem genug. Ich hatte die ganze Zeit das Bedürfnis, in das Buch hineinspringen und die armen Jungs dort rausholen zu wollen - natürlich nicht, ohne ihren Peinigern einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen!

Das ist der Verdienst des Autors, der die Begebenheiten so eindringlich, anschaulich und bewegend, wie nur irgend möglich schildert! Und ausgesprochen rund, auch wenn ich gut und gerne noch weitergelesen hätte, um die besondere Atmosphäre, die der Autor geschaffen hat, vollends auszukosten.

Eines wird deutlich: Es gibt immer Neid und Missgunst. Ganz egal, wo man ist und auch dann, wenn man selbst überhaupt nicht drauf kommen würde. Und es gibt auch überall und zu jeder Zeit sadistische Menschen, die ihre Triebe ausleben, wann und wo sie können. Und das, ohne jemals ein schlechtes Gewissen zu haben: sie haben nämlich überhaupt keins.

Dieses Buch und seine traurige, realistische Geschichte, die trotz allem nicht ganz ohne Hoffnung ist, lehrt seine Leser, die Achtsamkeit gegenüber allen Mitmenschen, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, wiederzufinden und in Ehren zu halten, ihrer gerade auch in der heutigen Zeit gewahr zu sein.

Nein, dies ist definitiv keine Unterhaltungslektüre, sondern ein überaus lohnender, wenn auch schmerzvoller zeitgeschichtlicher Roman, aber einer, den man gestärkt aus der Hand legt. Ein ganz besonderes Buch, das ich jedem empfehle, der stets bereit ist, zu erfahren, wie die Welt zu dem wurde, was sie ist.