Wenig Buch für viel Geschichte

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sursulapitschi Avatar

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Dieses Buch ist zunächst sehr beeindruckend. Colson Whitehead hat einen grandiosen Erzählstil, locker, plastisch und auch irgendwie poetisch, und wohl mit einiger Berechtigung renommierte Preise erhalten.

Hier erzählt er die tragische Geschichte von Elwood Curtis, der 1962 mit 16 Jahren unschuldig in die Nickel Academy eingewiesen wurde, eine Besserungsanstalt für Jungen, die eine Schule sein sollte und ein Straflager war, in dem die Jungen brutal gequält wurden. Elwood ist schwarz und damit ganz unten in der Hackordnung. Auch die weißen Jungs haben nichts zu Lachen in der Nickel Academy, die Schwarzen werden allerdings schlimmer als Tiere behandelt, nur um ein paar unmenschliche Wärter zu bereichern oder zu amüsieren.

Das ist eine tragische und anrührende Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht und somit sogar Skandalöses offen legt. Seltsamerweise hat mich dieses Buch längst nicht so erschüttert wie es sollte. Die Erzählweise ist bisweilen sehr sprunghaft. Es kommt vor, dass man in einem kurzen Absatz von Elwoods Situation zur Jugend seiner Großmutter und dann zu einer Episode aus dem Leben seiner Mutter springt. Hier wird sehr viel kurz angerissen, was vom Grundsatz her grauenhaft ist, aber zu oberflächlich behandelt wird, um wirklich zutreffen. Da steckt oft ein Drama im Nebensatz, das ein Kapitel verdient hätte.


Auch die Botschaft wird ein wenig verwässert. Natürlich trifft man hier auf Machtmissbrauch, Korruption und brutalste menschenverachtende Praktiken, nur haben im Nickel die Weißen Insassen auch einiges zu erleiden. Als Fanal gegen den Rassismus angepriesen, zeigt das Buch schreckliche Zustände, bei denen es den Weißen schlecht geht und den Schwarzen noch einmal schlechter. Das ist furchtbar und eine Geschichte, die erzählt werden muss, aber erst am Ende ein klares Statement gegen Rassismus. Man hat bis kurz vor Schluss immer das Gefühl: Komisch, ich müsste viel erschütterter sein.

Vielleicht hätten diesem Buch ein paar Seiten mehr ganz gutgetan. Trotzdem ist es ein gutes Buch, das am Ende doch berührt und dem man nur vorwerfen kann, dass eher damit hätte anfangen können.