Ein Roman wie Blei

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pastor_david Avatar

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„Die Luft war wie Blei, der Himmel über ihm war wie Blei. Rotes Meer? Bleiernes Meer, das traf es besser.“ (Seite 229)
Bleierner Roman, das trifft es noch besser. Je weiter ich in dieses Buch fortgeschritten bin, desto anstrengender wurde das Lesen und desto inniger sehnt man sich endlich das Ende herbei. Diese Sehnsucht ist verknüpft mit der Hoffnung auf einen Ausgang, der vielleicht doch für die Mühe entschädigt, doch auch darin wurde ich enttäuscht.
Der Protagonist „Jung“ besteigt in Marseille mit seiner Frau und deren Familie den Kreuzfahrtdampfer „Champollion“ Richtung Maskat. Die Rostergs, mit denen sich Jung nicht sonderlich gut versteht, betreiben ein Handelsgeschäft und haben vor, auf der arabischen Halbinsel Gewürze zu kaufen. Auch andere 20er-Jahre-Stereotypen befinden sich mit an Bord: Die Quotenlesbe, der Quoten-Nazi (der gleichzeitig der Quoten-Schwule ist), die freizügige Nackttänzerin, der Ami und andere Personen, die alle eines gemeinsam haben: Die charakterliche Tiefe von Schaufensterpuppen.
Plötzlich verschwindet die Frau des Protagonisten und niemand an Bord will sie gesehen haben. Was vielversprechend beginnt, verkommt schnell zur Kreuzfahrt durch das Meer der nicht genutzten Chancen.
Die Stärken des Buches sind die bildhafte Schreibweise des Autors. Die 20er Jahre Kreuzfahrt erscheint lebendig und lebhaft vor dem inneren Auge. Ein Hauch „Death on the Nile“ umschwirrt besonders das erste Drittel des Buches. Bis zum Verschwinden seiner Frau, denkt, fühlt und handelt der Protagonist auch recht nachvollziehbar. Die Panik und der Selbstzweifel werden authentisch beschrieben und man kann das Buch nicht mehr zuklappen, zumindest für eine kurze Zeit. Danach geht es stetig bergab.
Die Figuren verhalten sich völlig unlogisch und nicht nachvollziehbar. Besonders beim Protagonisten hat der Autor jeglichen Sinn für „Consistency“ über Bord geworfen. Er beginnt als ernüchternder Ehemann, der eine ausgesprochene Beobachtungsgabe besitzt, versinkt dann in depressiven Selbstzweifel und Medikamentenabhängigkeit. Der Höhepunkt ist das brutale Zusammenschlagen seines Konkurrenten und das plötzliche Verlieben in eine Andere. Auch seine post-traumatische Belastungsstörung wird uns als unnötiges Element vor die Füße geworfen und da der Leser feststellt, dass so viele Elemente einfach nur unnütz sind, verlieren wir schnell die Lust am Lesen und beginnen über Absätze großzügig hinwegzulesen.
Am schlimmsten sind die Nebenfiguren, die erst Leugnen, Frau Jung gesehen zu haben, die dann aber, ein paar Kapitel weiter, doch bestätigen, dass sie sie an Bord gesehen haben. Diese unlogischen Entscheidungen werden dann quittiert mit Sätzen wie: „Es ist mit wieder eingefallen“ oder „Man muss ja nicht gleich mit der Wahrheit rausrücken.“
Auch das Ende enttäuscht auf der ganzen Linie, da der einzig interessante Bogen, den der Autor spannt, nicht aufgelöst wird und unser Protagonist derart absurd entscheidet und handelt, dass es wehtut.
Die schöne und spannende Szenerie, die goldenen 20er Jahre, ist stimmig und die Schauplätze sind authentisch. Die Handlung und deren Charaktere wirken lieblos zusammengeschustert. Schade, dass so viel Potential einer eigentlich aufregenden Idee verschwendet wurde.