Mörderische Spannung auf der Fahrt in den Orient

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gormflath Avatar

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Cay Rademacher entführt seine Leser diesmal in die Zeit nach dem I. Weltkrieg. Es ist der Spätsommer 1929, der letzte Sommer der Goldenen Zwanziger, in der noch niemand die Vorzeichen der Weltwirtschaftskrise erkennt. Noch bestimmen Luxus, Jazzmusik, Kokain und Frivolität das Leben, als die angesehene Kaufmannsfamilie Rosterg in Marseille an Bord des Ozeanliners Champollion in Richtung Orient in See sticht. Zu den illustren Passagieren gehören nicht nur eine skandalumwitterte Nackttänzerin aus Berlin, ein mysteriöser römischer Anwalt, sondern auch eine adelige englische Lady, ein vermeintlich naiver amerikanischer Ingenieur und ein Schlägertyp der Berliner Unterwelt, sondern auch der traumatisierte Kriegsveteran und Fotoreporter der Berliner Illustrierten, Europas größter Zeitschrift. Als Reisereporter wird er von seiner Frau Dora begleitet, Tochter eben jener Hamburger Kaufmannsfamilie, die in Maskat mit den sagenhaften Gewürzen Arabiens Handelsbeziehungen anzuknüpfen gedenkt. Mit von der Partie sind auch Bertold Lüttgen, der intrigante Prokurist der Firma Rosterg, Ernst, der von den Nazis begeisterte Sohn der Rostergs sowie der erste Offizier Dorgelès, die alle schon zu Beginne etwas zwielichtig wirken.
Die Ehe zwischen Jung und Dora steht nicht mehr zum Besten, Jung möchte die Fahrt auf dem Luxusdampfer nutzen, um die Beziehung zu seiner Frau aufzufrischen. Doch schon bald nach der Abfahrt aus Marseille verschwindet Dora spurlos, und für Theodor Jung wird die Reise zu einem Albtraum, denn nicht nur die Familie Rosterg, sondern auch andere Passagiere und Besatzungsmitglieder behaupten, Dora sei überhaupt gar nicht erst an Bord gewesen. Jung zweifelt zunächst an seinem Verstand, bis er mithilfe der Stewardess Fanny Nachforschungen anstellt, um mehr über Doras Verbleib herauszufinden. Wurde Dora ermordet? Jung geht nach und nach auf, dass er das Opfer eines mächtigen Komplotts ist.
Im Lauf der Passage nach Maskat geschehen weitere Verbrechen, mehrere Personen müssen ihr Leben lassen, unbegreifliche Ereignisse nehmen an Fahrt auf und die Situation wird immer brenzliger.
Nach seinen Provence-Krimis überzeugt der Autor auch diesmal als grandioser Geschichtenerzähler. Überzeugend lässt er die Zeit der Goldenen Zwanziger auferstehen, schildert eindringlich die Zeitumstände der Nachkriegszeit, den Hass der Franzosen auf die Deutschen, aber auch die Mode dieser Zeit, die Atmosphäre auf dem Schiff und die Schilderungen der Landschaften, die der Ozeandampfer ansteuert. Überaus sorgfältig recherchiert fühlt man sich beim Lesen auf dieses Schiff versetzt, mitten unter die interessanten Charaktere – natürlich nur in der Luxusklassen und nicht auf den unteren Decks.
Bis zum Ende bleibt der bildhafte Roman mit vielen Wendungen in der für Rademacher typischen gehobenen Ausdrucksweise abwechslungsreich und äußerst spannend.
Für mich ist das Buch ein absolutes Jahreshighlight!