Nichts ist wie es scheint

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gerwine ogbuagu Avatar

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Nichts ist wie es scheint

Cay Rademacher ist ein Meister der Worte, wie er uns immer wieder in all seinen Romanen zeigt. In seinem neuen Krimi entführt er uns in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, dem Großen Krieg, 1929. Berlin glitzert und die angesehene Kaufmannsfamilie Rosterg geht an Bord der Champillon in Marseille. Ihr Reiseziel ist das Gewürzparadies Maskat. Die Familie wird nach Maskat reisen um Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Auch der Prokurist der Firma Rosterg ist dabei, Lüttgen. Zur Familie gehören der Fotograf Theodor Jung und seine Frau Dora Rosterg, sowie seine Schwiegereltern und der nazibegeisterte Sohn Ernst. Wir werden gleich eingeführt in die Umstände der Protagonisten: Jung – vom Krieg traumatisiert. Lüttgen, der Prokurist, offensichtlich ein hater. Dora, Jungs Ehefrau, ist an vielen Dingen interessiert ist – hauptsächlich an sich selbst. All dies lesen wir in einer rasanten Sprache, die die Zeitumstände, die Mode, die Atmosphäre dieser Nachkriegszeit, den Hass der Franzosen auf die Deutschen - eindringlich schildert. Eine geheimnisvolle Atmosphäre umgibt die Menschen auf dem Schiff Champillon. Dazu Rademachers Schilderungen von Landschaften, hier das Meer, die umgebenden Horizonte, die Wolkenbildung, die Inseln die passiert werden - beschwören dies Geheimnisvolle geradezu herauf. Die angelaufenen Häfen werden so geschildert, dass man sich selbst dort wähnt. Man fühlt sich auf dieses Schiff versetzt, und mischt sich unter die überaus interessanten Charaktere der vielen Passagiere, die alle miteinander korrespondieren.
Jung, ein Fotograf der Berliner Illustrirten, bekommt viele Szenen vor seinen Sucher, die mit seinem Auftrag wenig zu tun haben, aber ganz sicher noch wichtig werden. Er liebt Dora, ist aber in ihrer Familie eine Art Außenseiter, weil er kein Kaufmann ist, sondern ein Künstler.
Unbegreifliche Ereignisse nehmen in dieser Geschichte Fahrt auf, nicht zu viel soll verraten werden, aber Theodor Jung wird sich während der Reise mit dem Rätsel auseinandersetzen müssen, wohin so plötzlich seine Gattin Dora verschwunden ist.
Wir kennen Cay Rademachers Schreibstil - immer aufs Sorgfältigste recherchiert, wir lesen anspruchsvolle, bildhafte Prosa. Sicherlich hat es auch eine tiefere Bedeutung, dass der Name des Schiffes – Champollion – gleichzeitig auch der Name des Wissenschaftlers ist, Champollion, geboren 1790 - der die altägyptischen Hieroglyphen entzifferte. Die Ausstattung des Schiffes folgt ganz dem Zeitgeist – überall sehen wir ägyptische Artefakte und Dekorationen. Selbstverständlich nur in der Luxusklasse und nicht auf den Unterdecks.
Bis zum Ende bleibt es spannend, bis es sich schließlich auflöst. Die vielen Wendungen der Geschichte, die immer neuen Überraschungen auf jeder Seite, die vielschichtigen Charaktere machen diesen pageturner der Sonderklasse unvergesslich.
Die Ausstattung des Buches ist sehr geschmackvoll und der Zeit angepasst. Eine Karte der Reiseroute ist vorn und hinten auf dem Vorsatzpapier zu verfolgen. Der Schutzumschlag zeigt “The Folio Society edition of Agatha Christie’s Death on Nile“ Da ist es wohl kein Zufall, dass eine der Passagierinnen Mary Westmacott heißt, ein Pseudonym Agatha Christie’s für ihre romantischen Romane.