Miyazaki als Buch

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Der Jugendroman „Die Perlenjägerin“ von Miya T. Beck hat mich durch das geheimnisvolle und dynamische Cover in Blau und Goldtönen und den hübschen Farbschnitt verzaubert, auch wenn der reinweiße Streifen des Verlags sich wie ein Fremdkörper um den Buchrücken und den Rand der Vorderseite legt. Zudem hat mich das Vorwort berührt, in dem Miya Beck von ihrem Aufwachsen zwischen zwei Kulturen berichtet und in dem sie ihr Buch jenen widmet, die sich schon einmal gefragt haben, wo sie hingehören.
Die Protagonistin Kai ist eine junge, ungestüme Perlentaucherin, deren pflichtbewusste Zwillingsschwester Kishi während ihrer Tauchprüfung von einem Geisterwal entführt wird. Kai macht sich auf eine aufregende Suche und nimmt die Lesenden auf ihrer Reise mit durch die japanische Kultur, Lebensart und Mythen, begegnet hilfreichen, aber auch feindlichen Menschen, Tieren und auch magischen Gegenständen. Kann sie die Forderung der Meeresgöttin erfüllen, damit diese ihre Schwester rettet?
Der Schreibstil von Miya Beck liest sich flüssig und stimmig. Schön fand ich, wie die Familiendynamik zwischen und um die beiden so unterschiedlichen Zwillinge beschrieben wird. Inhaltlich-stilistisch erinnert das Buch an „Prinzessin Mononoke“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Hayao Miyazaki, dem großen Filmemacher von Studio Ghibli: Viele Motive erschaffen eine düstere und unheimliche Atmosphäre, die jedoch durch ästhetische Bilder und eine liebevolle Darstellung ihren Schrecken verlieren. Bei den Figuren, viele davon aus der japanischen Mythologie, bleibt oft uneindeutig, ob sie Kai zugewandt sind oder ihre eigenen Interessen verfolgen. In der Mitte der Geschichte ist Kai für eine Weile quasi handlungsunfähig und es passiert wenig, während wir die Menschen und das Leben in ihrer Umgebung kennenlernen. Ansonsten ist Handlung meist spannend, wobei das Finale trotz seiner Dramatik eine überraschende Langsamkeit und träumerische Atmosphäre hat. All das gibt dem Roman einen besonderen Zauber, auf den man sich jedoch einlassen können muss.
Neben der durchaus spannenden Geschichte lernt man vieles über die japanische Kultur. Bereichernd fand ich es, über die Perlentaucherinnen zu lernen, die es schon im 8. Jahrhundert in Japan gab und bei denen die Frauen ausnahmsweise keine untergeordnete Rolle spielen – also eine Art frühe feministische Vorbilder. Auch die Einblicke in japanischen Alltag in verschiedenen Familien waren interessant, z.B. warum Adelsfamilien nie gemeinsam ihre Mahlzeiten essen oder wie Tote betrauert werden. Miya Beck hat sich bemüht, viele japanische Mythen in ihrer Geschichte aufzugreifen. Teilweise ist ihr das gut gelungen, manchmal wirken die Exkurse zu gewollt und künstlich; man verliert schnell den Überblick über die vielen Mythen und Gestalten und ob sie eine Relevanz für die Hauptgeschichte haben.
Insgesamt fand ich das Buch bezaubernd anders und gebe eine Leseempfehlung für alle, die in die japanische Kultur eintauchen möchten und die gut mit Uneindeutigkeiten leben können.