Intelligenter Roman mit leichtem Schreibstil, die Liebesgeschichte enttäuscht

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lovely_lila Avatar

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~Der Schreibstil besticht durch Leichtigkeit und subtilen intelligenten Humor und die liebevoll ausgearbeiten Personen überzeugen mit vielen Eigenheiten. Die Liebesgeschichte konnte mich hingegen leider gar nicht überzeugen, und auch etwas spannender hätte es zuweilen sein dürfen. ~

Inhalt

Elisabetta Zorzi ist eine faszinierende und schöne Frau, der es mit Leichtigkeit gelingt, Männer um den Finger zu wickeln. Die Männer, die sich von ihr verzaubern lassen, ahnen aber eines nicht: Wenn sie sich einen groben Fehler erlauben, wird Zorzi sie nicht einfach verlassen. Sie wird sie umbringen...

Warum habe ich dieses Buch gelesen?

Nach einer sehr überzeugenden Leseprobe und einem interessant klingenden Klappentext war die Entscheidung für dieses Buch einer (noch dazu) österreichischen Autorin gefallen.

Meine Meinung

Zuerst einmal zum Schreibstil. Dieser trägt das ganze Buch, und ich glaube, dass er die wichtigste Komponente in diesem Roman ist. Wäre er also schlecht, wäre vermutlich das ganze Buch schlecht, egal wie interessant die Handlung auch wäre. Zum Glück ist er sehr überzeugend. Der Schreibstil ist wunderbar leicht und einnehmend. Sofort fühlt man sich beim Lesen wohl. Egal wie ernst die beschriebenen Themen auch sind, die Autorin scheut sich weder vor bissigen Bemerkungen, noch vor subtilen amüsanten Anmerkungen. Dieser Humor und diese Leichtigkeit sind es, die einen das Buch so schnell lesen lassen. Das ist besonders bemerkenswert, weil es vor allem zu Beginn recht wenig indirekte Rede gibt.


"Sie ging davon mit der Freude eines Pyromanen, der wusste, dass in seinem Rücken ein Dorf niederbrannte." Seite 42

Zorzi, wenige Tage vor dem Tod ihres Freundes:
"Und zu wissen, dass auch Jürgen in seinen letzten Tagen noch Spaß hatte, war schön. So wie es schöner war, glückliche Hühner zu essen als unglückliche." Seite 25


Die Personen des Romans sind sehr liebevoll ausgearbeitet. Keiner von ihnen ist perfekt, ihre kleinen Macken und Schwächen werden milde, fast voll Zuneigung, geschildert und machen es dem Leser leicht, sogar die Nebenpersonen stets auseinander zu halten. Besonders gefallen hat mir da, dass viele unkonventionelle Figuren entworfen wurden, die so gar keinem Klischee entsprechen. Da wären zum Beispiel Körber (daran, dass die meisten Personen stets mit ihren Nachnamen erwähnt werden, gewöhnt man sich fast augenblicklich), der tätowierte Psychologe, oder die Polizistin Pretzl-Abfalter, die zwar stark geschminkt ist, aber dennoch eine starke Frau, bei der sich auch ihr Mann nicht traut "frech zu werden".

Die Hauptpersonen der Geschichte sind Körber und Elisabetta Zorzi (schade, dass man sie trotz des schönen Vornamens immer beim Nachnamen nennt). Beide sind sehr unkonventionelle Protagonisten, die mich großteils überzeugen konnten. Körbers Erzählstimme mochte ich sehr, weil sie sehr angenehm und ruhig war. Der Psychologe beobachtet immer aufmerksam die Menschen um sich herum und versucht ständig ihr Verhalten zu analysieren. Immer wieder fließen da spannende (manchmal auch erschreckende) (kriminal)psychologische Fakten mit ein. Es gab nur eine Sache, die ich nicht verstehen konnte - und das war seine Beziehung zu Zorzi, doch dazu später mehr.

Auch Zorzi ist natürlich etwas Besonderes. Auch wenn ich in letzter Zeit häufiger Bücher mit Verbrechern als Hauptpersonen zu lesen scheine, so ist dennoch auch Zorzi einmalig. Sie ist eine sehr höfliche und gnadenlos ehrliche Frau, die mir beim Lesen bis zu einem gewissen Grad sogar sympathisch wurde. Dennoch stimme ich nicht mit vielen anderen Rezensionen überein: Meiner Meinung nach kann man, auch wenn man einen Teil der Geschichte aus Zorzis Sicht erlebt, zwar ihre Gefühle verstehen, nicht aber ihr Verhalten. Mitleid hatte ich nicht wirklich mit ihr. Es bleibt ständig eine gewisse Distanz, was irgendwie schade ist. Zorzis Verhalten entzieht sich wohl einfach der Logik "normal denkender" Menschen. Warum jemanden ermorden, von dem man sich doch einfach auch trennen könnte? Für mich einfach unverständlich.

Die Liebesgeschichte, mit der so geworben wurde (vielleicht ein Fehler?), konnte mich leider gar nicht überzeugen. Alles entwickelte sich ca. auf den letzten hundert Seiten (zu schnell) und so seltsam nebenbei. Es gelang mir nicht, da Gefühle zu spüren. Die wichtigen Stufen der Beziehung (erster Kuss etc.) wurden nur unzureichend erzählt und meist nur in einem Nebensatz erwähnt. Da fehlten mir eindeutig Emotionen. Was mich auch verwirrt hat, war die Reaktion auf Körbers Beziehung. Keinen scheint es zu stören, zu schockieren oder wenigstens ernsthaft zu beschäftigen, dass Körber auf einmal mit einer Dreifachmörderin liiert ist. Es fiel mir wirklich schwer, das zu glauben. Keiner seiner Freunde findet das seltsam, krank oder gefährlich? Niemand kritisiert es? Flimminger, ein Polizist, sagt nur (sinngemäß): Du bist nicht mehr ihr Psychologe, also: Was ist schon dabei? Und auch Körbers Reaktion hat mich nicht wirklich überzeugt. Er zweifelt kaum und hadert niemals ernsthaft mit sich selbst. Also ich würde mir zumindest Gedanken machen, mich fragen, ob mein Verhalten richtig ist, wie das alles überhaupt passieren konnte, wenn ich mich in einen Mörder verlieben würde. Da hätte uns die Autorin mit so unglaublich guten, nervenaufreibenden inneren Konflikten verwöhnen können! Aber dieses Potential hat sie aus mir unverständlichen Gründen leider verschenkt.

Spannung wird man in diesem Buch vergeblich suchen, auch wenn es durchaus eine unerwartete Wendung gibt. Es gibt keine intensiven inneren Konflikte, weil sich der Psychologe in eine Gefangene verliebt, keine thrillerartig geschilderten Tathergänge, kein "Wer war es?"-Rätseln. Alles wird ruhig und mit der erwähnten Leichtigkeit erzählt. Doch auch wenn dieses Buch keine Spannung aufweist, so ist es dennoch (fast immer) außerordentlich interessant. Man erfährt viel über Polizeiarbeit, Psychologie, Gefängnisse und Menschen (und deren Verhalten) im Allgemeinen. (Alleine die Begegnungen zwischen Körber und der Gerichtspsychaterin Anneliese Strasse sind einfach unglaublich amüsant zu lesen.) Ich kann die Leser verstehen, die die fehlende Spannung kritisieren, denn diese Erzählweise muss man sicher mögen. Mir hat die atemlose Spannung hier nicht gefehlt, auch wenn es im zweiten Teil manchmal gerne etwas mehr sein hätte dürfen.

Eine Sache, die mich etwas gestört hat, war das sehr traditionelle Frauenbild, das teilweise im Roman vermittelt wurde. Auch wenn es durchaus starke Frauen gibt, wird es so dargestellt, als wäre man als Frau immer für die Wegzehrung bei einer Wanderung zuständig und ebenso automatisch für das Waschen der Wäsche. Diese konservative Sicht auf die Geschlechterrollen finde ich schade, weil ich denke, zu sagen jemand sei selbstredend für etwas zuständig, nur weil er ja eine Frau oder ein Mann ist, ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß.


Mein Fazit

Ein interessanter Roman einer österreichischen Autorin über eine Mörderin und einen Psychologen, in dem man viel über Polizeiarbeit, Psychologie, Gefängnisse und menschliches Verhalten im Allgemeinen erfährt. Der Schreibstil besticht durch Leichtigkeit und subtilen intelligenten Humor und die liebevoll ausgearbeiten Personen überzeugen mit vielen Eigenheiten. Die Liebesgeschichte konnte mich hingegen leider gar nicht überzeugen, und auch etwas spannender hätte es zuweilen sein dürfen.

Empfehlung:
Ich empfehle dieses Buch allen, die einen intelligenten, amüsanten Schreibstil und ruhige Romane schätzen. Wer sich nach atemloser Spannung oder einer leidenschaftlichen "verbotenen" Liebe sehnt, der wird mit diesem Buch nicht glücklich werden.


Übersicht

Stärken:

* Schreibstil
* Personen
* Protagonisten
* manche unerwartete Wendung
* subtiler, intelligenter Humor
* enthält interessantes Wissen

Schwächen:

* manchmal hätte es ein bisschen mehr Spannung sein dürfen
* Liebesgeschichte
* manche Reaktionen der Personen nicht nachvollziehbar (Potential wurde verschenkt)

Erzählstil: Personaler Erzähler, der an auktorialen Erzähler grenzt; Präteritum;
Perspektive: aus weiblicher und männlicher Perspektive

Bewertung:

Idee: 5 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne
Personen: 5 Sterne
Protagonist: 4,5 Sterne

Zusatzkriterien bei diesem Buch:

Spannung: 3 Sterne
Humor: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 1 Stern (vergebe ich echt selten)

Insgesamt:

❀❀❀❀

Trotz meiner Kritikpunkte gab es viel, das mir an diesem Buch gefallen hat, deshalb vergebe ich vier Sterne!

Ist dieses Buch Teil einer Reihe? - Nein.