Ein facetten- und wendungsreiches Paradestück
Die Ich-Erzählerin ist eine verheiratete introvertierte Schauspielerin, die offensichtlich mit ihrem Alter hadert. Eitel legt sie permanent Wert auf ihre Außenwirkung und möchte sich nur vorteilhaft präsentieren. In diesem Bewusstsein betritt sie ein New Yorker Restaurant, um Xavier, einen deutlich jüngeren Mann, zu treffen – eine Verabredung, von der ihr Ehemann Tomas nichts weiß. Doch Xavier legt es wider Erwarten nicht auf ein Rendezvous an, sondern konfrontiert die Ältere mit der Vermutung, dass sie seine leibliche Mutter sei. Sie streitet das vehement ab. Angeblich hat sie nie ein Kind ausgetragen. Trotzdem setzt sich der Gedanke, einen erwachsenen Sohn zu haben, im Bewusstsein der Erzählerin fest.
In einem wohlformulierten Gedankenkarussell dürfen wir die Protagonistin näher kennenlernen. Sie resümiert über wichtige Begegnungen, ihren beruflichen Werdegang, ihre Ehe und Kinderlosigkeit. Aktuell steht sie für ein sehr anspruchsvolles Stück auf der Bühne, in dem sie eine tragende Rolle innehat. Schnell spürt man die Unzuverlässigkeit der Erzählerin, die eigene Fehler nur am Rande tangiert, dabei aber argwöhnisch, distanziert und eifersüchtig über andere Menschen wacht. In ihren Meinungen ist sie schwankend, sie kokettiert und manipuliert. Als Leser hinterfragt man ihre subjektive Perspektive, die erst im zweiten Teil des Romans von anderen Sichtweisen ergänzt wird. Spannend erscheint von Beginn an der Theaterbetrieb als Welt des Scheins und der Verstellung, in der sich die Individualität des Schauspielers in seiner jeweiligen Rolle aufzulösen droht. Auf der Bühne hat die Erzählerin höchste Ansprüche an sich selbst, Wahrhaftigkeit und Authentizität bedeuten ihr hier alles, Erfolg ist ihr Lebenselixier. Als Xavier sich als Assistent der Regisseurin stärker in das Leben der Ich-Erzählerin drängt, verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedenen Ebenen zunehmend, was die Autorin in Teil Zwei gekonnt mit einem beeindruckend trügerischen Konstrukt auf die Spitze treibt, von dem man sich am besten ohne Vorwissen überraschen lassen sollte. Es lohnt sich!
Katie Kitamura versteht es, komplexe Beziehungen mit psychologischem Scharfsinn und genauer Beobachtungsgabe zu sezieren. Das hat sie bereits in ihren letzten Romanen „Trennung“ und „Intimitäten“ bewiesen, hier treibt sie es damit zur Meisterschaft. Die Autorin entwirft ein überaus spannendes Szenario, das zahlreiche Fragen aufwirft. Man darf sich als Leser ständig neu in der Kernfrage positionieren, was denn Wahrheit, Täuschung oder Spiel ist bzw. was die Erzählerin dafür hält.
In meinen Augen ist dieser Roman ein großer literarischer Wurf. Ich liebe den reduzierten, tiefgründigen Schreibstil Kitamuras. Sie versteht es, mit wenigen Worten sehr viel auszudrücken und komplizierte Gefühlslagen auf den Punkt zu bringen. Das Ende des Romans lässt vielfältige Interpretationen zu. Ein Zurückblättern lohnt sich wie bei allen klug konzeptionierten Büchern. Man stellt fest, dass Teil Eins und Teil Zwei des Romans genauestens aufeinander abgestimmt sind, auch wenn man den Bruch beim Übergang erst einmal verdauen muss. Mein Kompliment an die hervorragende Übersetzung von Henning Ahrens.
„Die Probe“ ist ein kluges Leseerlebnis sowie ein fein gewebtes Verwirrspiel rund um eine höchst unzuverlässige Erzählerin. Leerstellen lassen Trennlinien zwischen Realität und Imagination bewusst verschwimmen. Thematisch geht es um Ehe, Familie und irreversible Lebensentscheidungen im Umfeld von Rollenspiel und Theater. Das Buch eignet sich perfekt für Diskussionen und Lesekreise.
Große Leseempfehlung!
In einem wohlformulierten Gedankenkarussell dürfen wir die Protagonistin näher kennenlernen. Sie resümiert über wichtige Begegnungen, ihren beruflichen Werdegang, ihre Ehe und Kinderlosigkeit. Aktuell steht sie für ein sehr anspruchsvolles Stück auf der Bühne, in dem sie eine tragende Rolle innehat. Schnell spürt man die Unzuverlässigkeit der Erzählerin, die eigene Fehler nur am Rande tangiert, dabei aber argwöhnisch, distanziert und eifersüchtig über andere Menschen wacht. In ihren Meinungen ist sie schwankend, sie kokettiert und manipuliert. Als Leser hinterfragt man ihre subjektive Perspektive, die erst im zweiten Teil des Romans von anderen Sichtweisen ergänzt wird. Spannend erscheint von Beginn an der Theaterbetrieb als Welt des Scheins und der Verstellung, in der sich die Individualität des Schauspielers in seiner jeweiligen Rolle aufzulösen droht. Auf der Bühne hat die Erzählerin höchste Ansprüche an sich selbst, Wahrhaftigkeit und Authentizität bedeuten ihr hier alles, Erfolg ist ihr Lebenselixier. Als Xavier sich als Assistent der Regisseurin stärker in das Leben der Ich-Erzählerin drängt, verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedenen Ebenen zunehmend, was die Autorin in Teil Zwei gekonnt mit einem beeindruckend trügerischen Konstrukt auf die Spitze treibt, von dem man sich am besten ohne Vorwissen überraschen lassen sollte. Es lohnt sich!
Katie Kitamura versteht es, komplexe Beziehungen mit psychologischem Scharfsinn und genauer Beobachtungsgabe zu sezieren. Das hat sie bereits in ihren letzten Romanen „Trennung“ und „Intimitäten“ bewiesen, hier treibt sie es damit zur Meisterschaft. Die Autorin entwirft ein überaus spannendes Szenario, das zahlreiche Fragen aufwirft. Man darf sich als Leser ständig neu in der Kernfrage positionieren, was denn Wahrheit, Täuschung oder Spiel ist bzw. was die Erzählerin dafür hält.
In meinen Augen ist dieser Roman ein großer literarischer Wurf. Ich liebe den reduzierten, tiefgründigen Schreibstil Kitamuras. Sie versteht es, mit wenigen Worten sehr viel auszudrücken und komplizierte Gefühlslagen auf den Punkt zu bringen. Das Ende des Romans lässt vielfältige Interpretationen zu. Ein Zurückblättern lohnt sich wie bei allen klug konzeptionierten Büchern. Man stellt fest, dass Teil Eins und Teil Zwei des Romans genauestens aufeinander abgestimmt sind, auch wenn man den Bruch beim Übergang erst einmal verdauen muss. Mein Kompliment an die hervorragende Übersetzung von Henning Ahrens.
„Die Probe“ ist ein kluges Leseerlebnis sowie ein fein gewebtes Verwirrspiel rund um eine höchst unzuverlässige Erzählerin. Leerstellen lassen Trennlinien zwischen Realität und Imagination bewusst verschwimmen. Thematisch geht es um Ehe, Familie und irreversible Lebensentscheidungen im Umfeld von Rollenspiel und Theater. Das Buch eignet sich perfekt für Diskussionen und Lesekreise.
Große Leseempfehlung!