In der Schwebe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
zebra Avatar

Von

So recht weiß ich noch nicht, wie ich die Leseerfahrung mit Katie Kitamuras „Die Probe“ beschreiben soll und schwanke zwischen szenischer Beschreibung (um dem Schauspielthema nahe zu kommen) oder einem Bericht (womit ich dem Grundton der Geschichte näher wäre). Versuchen wir es mit einer Mischung:

1. Szene: In einem New Yorker Restaurant treffen sich eine namenlose Schauspielerin, nennen wir sie der Einfachheit halber S, und Xavier, der behauptet ihr Sohn zu sein – obgleich sie kein Kind geboren hat.
2. Szene: Tomas, erfolgloser Schriftsteller und Mann von S kommt herein – S wird bewusst, dass hier was gewaltig ins Rutschen kommen könnte.
Und das tut es dann auch, nämlich im 2. Teil des Buches, dessen Inhalt ich nicht wiedergeben werde, um nichts zu verraten.

Inzwischen halte ich die obige Beschreibung für recht passend, weil sie das Buch in den wesentlichen Zügen m. E. relativ gut wiedergibt – wieso? Schon zu Beginn des Buches faszinierte mich, wie Kitamura die seltsame Stimmung im Restaurant auffängt, wie genau sie Sprache verwendet, insbesondere Attribute einsetzt („listige Pause“). Das mutet fast schon chirurgisch an (so wie S, aus deren Perspektive erzählt wird, ihr Leben geradezu zu sezieren scheint) – das ergibt bei der Lektüre eine teils bedrückende und irgendwie widersprüchliche Atmosphäre. Die speist sich auch daraus, dass zwar alle Hauptfiguren aus dem künstlerisch-kreativen Bereich kommen (Schauspieler, Schriftsteller, Regieassistenz), aber wegen ihrer Arbeit mit Schein und Sein unsicher wirken: Tomas scheint eine Affaire zu vermuten – oder will er bloß nicht stören? Und auch S geht zunächst von einem Annäherungsversuch Xaviers aus, was man bei ihr noch auf Eitelkeit schieben könnte. Alles in allem stellt man fest, dass das zentrale Thema Wahrheit ist – „dargereicht“ am Schauspiel (Was ist wahr, was gespielt?). Und das ist nicht nur das Thema der Figuren, sondern auch der gesamten Geschichte: Kitamura spielt mit Wahrheiten (so meine Deutung – andernfalls verstehe ich das Buch wohl doch nicht) und das ziemlich elegant. Denn eigentlich scheint alles klar (etwa, dass Xavier nicht der Sohn der Schauspielerin sein kann), aber mit dem 2. Teil wirft Kitamura den 1. Teil komplett um. Das kann einen verwirren (und von dem Ende könnte Ionesco noch lernen), bis man für sich eine Deutung findet (oder nicht) – so bleibt letztlich alles in der Schwebe. Selbst wenn man sich bis hierher noch mit der Geschichte arrangiert, weist sie doch auch Längen auf, etwa wenn es in längeren Teilen (auch) um das Stück geht, in dem S spielt. 3,5 Sterne, die ich abrunde, weil das Buch so speziell ist, dass lieber jede(r) selbst entscheiden sollte, ob die Lektüre lohnt.