Spannende Schnitzeljagd

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rebekka Avatar

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Soviel sei schon vorab gesagt: Dieses Buch hält – mit geringen Abstrichen - was die Leseprobe verspricht. Tracy Rees schickt ihre Leserinnen auf eine ungewöhnliche Schnitzeljagd durch das viktorianische England und entwickelt dabei eine Spannung, die man sonst nur aus Kriminalromanen kennt. Es ist die Geschichte von zwei Freundinnen, die ungleicher nicht sein können: Eine junge Dame aus der gehobenen Gesellschaftsschicht und ein Findelkind unbekannter, aber mit Sicherheit niederer Herkunft.

Die vornehme Aurelia und die unerwünschte Amy halten zusammen, seit die achtjährige Tochter des hochnäsigen Ehepaars Vennaway das neugeborene, schreiende Baby nackt im Schnee vorgefunden hat. Keine Strafe, keine noch so schreckliche Maßnahme der kaltherzigen Eltern kann die beiden auseinander bringen. Als Aurelia in jungen Jahren stirbt, schickt sie ihre Gefährtin auf eine abenteuerliche Suche, von der nur sie selbst weiß, wohin sie führt. Dabei zeigt sich nach und nach, dass es zwischen den beiden jungen Frauen doch mehr Geheimnisse gab, als Amy wahrhaben wollte.

Geschickt wechselt die Autorin zwischen den Erlebnissen Amys auf der Reise und ihren Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit der Freundin ab. Cliffhänger nach jedem Kapitel machen es unmöglich, das Buch zwischendurch wegzulegen – man will einfach wissen, wie es weitergeht. Rees‘ schnörkelloser, flüssiger Schreibstil, ihre Phantasie und ihr Geschick, Personen so zu beschreiben, dass man sie deutlich vor Augen sieht, lassen die Lektüre dieses Romans zu einem echten Vergnügen werden. Am Schluss bleiben keine offenen Enden übrig und alle Fragen – bis auf eine - werden beantwortet.

Zu bemängeln gibt es an diesem Buch nur wenig. In der zweiten Hälfte zieht sich die Geschichte an etwas lang hin und an manchen Stellen - wie etwa der Entlarvung des Menschen, der nicht das ist, was er zu sein scheint - wird der Zufall regelrecht überstrapaziert. Das aber sind Lappalien. Gravierender ist für mich die unbefriedigende Erklärung, die Tracy Rees für die Haltung der Eltern Aurelias gegenüber dem unerwünschten Findelkind anbietet. Ablehnung und Gleichgültigkeit hätte ich angesichts der gesellschaftlichen Zwänge im viktorianischen Zeitalter und der familiären Umstände noch verstanden. Aber für diesen Hass, diese Grausamkeit und diese gnadenlose Bosheit reicht mir die Begründung der Autorin einfach nicht aus.