Atmosphärisch dichter Frauen-Roman vor exotischer Kulisse

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marionhh Avatar

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Montevideo, Uruguay, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die junge Rosa de la Vegas soll mit einem älteren Geschäftspartner ihres Vaters verheiratet werden. Da ihre Familie ihren Argumenten nicht zugänglich ist, flieht sie und wird entführt. Der Bankierssohn Albert Grothmann kommt ihr zu Hilfe, und die beiden verbringen einen Tag miteinander. Sie treffen auf Julio, Rosas Bruder, der einen potentiellen Geschäftspartner in Europa wittert und ihn kurzentschlossen zum Abendessen in das Haus der de la Vegas einlädt, wo er ihn mit Rosa verkuppeln will. Obwohl überrumpelt, stimmt Albert zu – die einzige spontane Handlung, die er jemals getätigt hat. Rosa folgt ihm nach Frankfurt, wo Alberts Vater inzwischen gestorben ist, und somit übernimmt Albert die Geschäfte in Frankfurt und sein Bruder Carl-Theodor die Reisen zu den Geschäftspartnern im Ausland. Albert geht vollständig in seinen Geschäften auf und vernachlässigt seine Frau. Rosa wird von ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin verachtet, weil sie keine Europäerin ist und somit von vielen Dingen keine Ahnung hat. Sie wird unsicher und schweigsam, interessiert sich aber kein Bisschen für Alberts Geschäfte und die Dinge, die ihn bewegen, so wie er ihre Kümmernisse ebenfalls nicht bemerkt bzw. nicht bemerken will. So wie ihre Mutter einst in Montevideo, bleibt sie eine Fremde in Frankfurt. Ihr Kind bringt sie mit Hilfe ihres Gesangslehrers Fabien zur Welt, der für sie schwärmt. Als Albert von ihrem angeblichen Betrug erfährt, fordert er diesen zum Duell. Durch das Gerangel löst sich ein Schuss, und Fabien stirbt von Alberts Hand. Durch ein weiteres Unglück brennen außerdem große Teile des Anwesens ab – mit Hilfe von Espe, Rosas mütterlicher Dienerin, schaffen sie die Leiche ins Haus und behaupten, Fabien sei – wie Alberts Mutter Adele – bei dem Brand ums Leben gekommen. Fortan leben die beiden Eheleute unter fortwährendem Hass und Misstrauen, worunter auch die heranwachsende Valeria, ihre Tochter, zu leiden hat.

Liebe erfährt Valeria von ihren Eltern keine, und so verwundert es nicht, dass sie das engste Verhältnis zu ihrer Cousine Claire hat. Als sie der Schule verwiesen wird, macht sie sich aus dem Staub und fährt heimlich mit Claire und deren Vater Carl-Theodor nach Montevideo. Dort wird Valeria von Paraguayern entführt, die Waffen aus dem Lager der de la Vegas gestohlen haben und sie gleich mit verschleppen, um Lösegeld zu erpressen. Damit gerät sie mitten in den sogenannten Tripel-Allianz-Krieg, den Paraguay gegen die Staaten Argentinien, Brasilien und Uruguay (die Tripel-Allianz) führte und vernichtend geschlagen wurde. Auf ihrer langen Reise nach Paraguay verliebt sie sich in einen ihrer Entführer, Valentin, der sich schließlich von seinem Bruder, der der Anführer der Kämpfer ist, lossagt und ihr zur Flucht verhilft. Zurück in Montevideo werden die beiden von den de la Vegas verraten, Valentin landet im Gefängnis, die schwangere Valeria wird ebenfalls eingesperrt. Mit Hilfe von Espe flieht sie, und mit der Hilfe ihrer Cousine Claire befreit sie Valentin und führt mit ihm fortan ein Leben in Armut, aber frei. Claire jedoch, die, um ihrer geliebten Cousine zu helfen, ihren Verlobten Luis hintergangen hat, wird von ihm verlassen und muss auf ihr Liebesglück verzichten. Sie bleibt in Montevideo und lebt allein in einem Haus in der Nähe der de la Vegas.

Valeria und Valentin und ihre Tochter Carlota leben von der Hand in den Mund, und Carlota sehnt sich nach einem besseren Leben. Aus Briefen erfährt sie, dass ihre Mutter anscheinend aus besserem Hause stammt und nur zu stolz ist, um um Hilfe zu bitten. Kurz entschlossen versucht sie, das Haus der Cousine ihrer Mutter, Claire, zu finden, da erschüttert ein Erdbeben die Stadt, Carlota kommt schwer verletzt in Krankenhaus. Dort trifft sie zu ihrer großen Überraschung ihre Zwillingsschwester Tabitha. Valeria hatte zwei Kinder bekommen, eines jedoch, weil es so schwach war, zurückgelassen. Tabitha kam zu den Großeltern nach Frankfurt und lebte dort ein behütetes Leben in dem Glauben, dass ihre Eltern tot seien. Tabitha verliebt sich in Montevideo in den Stallknecht José, als dies herauskommt, wird er entlassen und ihr jeder weiterer Umgang verboten. Auf Carlotas spontane Idee hin vertauschen die beiden die Rollen: Carlota reist als Tabitha nach Frankfurt, wo sie sich in den Gesangslehrer Nicolas verliebt, Tabitha bleibt in Montevideo bei Valeria und Valentin, weil sie so ihre Eltern kennenlernen kann und glaubt, José für sich gewinnen zu können. Durch einen Schlag auf den Kopf ist Valeria blind geworden, und sie und Valentin sind zu sehr mit ihrem eigenen Elend beschäftigt, um die Veränderung an ihrem Kind zu bemerken.

José erweist sich als Schuft und lässt Tabitha schwanger sitzen. Sie flieht zu Claire. In Frankfurt stellt sich heraus, dass Nicolas der Enkel des ermordeten Fabien ist, und dass Nicolas' Vater die ganze Geschichte aus Rache eingefädelt hat, um Albert zu bestrafen. Nicolas wendet sich jedoch gegen ihn und rettet so Tabitha. Der Rollentausch kommt sowohl in Montevideo als auch in Frankfurt ans Licht, und in Montevideo trifft sich erstmals die ganze Familie, sehen Rosa und Albert ihre totgeglaubte Tochter Valeria wieder, und sogar Claire trifft erneut auf ihre große Liebe Luis, der inzwischen Familie hat. Am Ende erkennt jeder, dass er seinen Stolz herunter schlucken und das Unrecht, das ihm angetan wurde, verzeihen muss, um endlich das Glück zu finden, nach dem er sich gesehnt hat.

Wow! Ein unglaublich dichter Roman vor exotischer Kulisse und interessantem historischen Hintergrund. Die Protagonisten sind bis in die „Nebenrollen“ vielschichtig und spannend, es passiert fast ständig etwas. Der flüssige Schreibstil und die detailgetreue, farbenprächtige Erzählweise lassen die Umgebung lebendig werden und machen den Roman zu einem echten Pageturner, den man kaum aus der Hand legen kann. Durch den häufigen Perspektivwechsel erfährt man nicht nur viel über die Gedankenwelt der Hauptpersonen, sondern auch einiges über „Nebencharaktere“ wie zum Beispiel Isabella und ihre Mutter Leonora. Jede Person macht im Laufe des Buches eine Wandlung durch, sei es, dass sie sich von ihrer Mutter emanzipiert, ihren Stolz herunter schluckt und erkennt, was das wichtigste im Leben ist: die Liebe.

Die Hauptpersonen sind sicherlich die Frauen der Familie de la Vegas, allen voran Rosa. Sie, die temperamentvolle, lebenslustige Südamerikanerin, liebt Albert, wird jedoch nach dem Unglück und durch Alberts steife Art und sein Unvermögen, seine Gefühle zu zeigen, zum Eisklotz, zwar anerkannt in Frankfurts besserer Gesellschaft, jedoch voller Misstrauen gegenüber ihrem Mann. Erst die Sorge um ihre Enkeltochter vereint die beiden wieder, und als Großeltern machen sie wett, was sie bei ihrer eigenen Tochter versäumt haben. Dennoch muss scheinbar immer ein Unglück passieren, bis die Protagonisten erkennen, was sie aneinander haben.

Rosa unterdrückt zwar ihre Emotionen und ihre Impulsivität, vererbt diese jedoch weiter. Sie und ihre weibliche Nachkommenschaft zeichnen sich als junge Frauen vor allem durch undurchdachte, spontane Aktionen aus, die sie oftmals in sehr brenzlige Situationen stürzen und ihnen nicht nur die Verachtung der Gesellschaft einbringt, sondern die teilweise auch lebensbedrohlich sind. Rosa und Valeria werden entführt und haben nur Glück, weil sich ein Mann in sie verliebt. Valeria, Carlota und auch Tabitha lassen sich mit unstandesgemäßen Männern ein, werden schwanger, und Tabitha wird sogar sitzen gelassen. In diesen Zeiten war das Leben einer Frau damit normalerweise vorbei. Die Frauen jedoch nehmen ihre Geschicke regelmäßig selbst in die Hand, und es sind auch zwei Frauen, nämlich Espe und Claire, die eine entscheidende Rolle im Leben der de la Vegas-Frauen einnehmen. Sowohl Rosa als auch Valeria fliehen mit Espes Hilfe, Espe hilft in Frankfurt als auch in Montevideo aus mehreren brenzligen Situation, und durch ihre indianische Abstammung weiß sie oft mehr als andere. Ebenso wie Claire hat sie eine besonnene und überlegte Art, entscheidet eher rational, tut aber alles für die von ihr geliebten Menschen und verzichtet dafür auf Vieles. Sie war schon Rosas Mutter Valeria treu ergeben und überträgt dies auf die weiblichen Nachkommen ihrer geliebten Herrin. Überhaupt geschieht das Meiste in dem Buch aus Liebe. So wie sich letztendlich Rosa für Albert als Ausweg aus ihrer Lage entschieden hat, so entscheidet sich Valeria für Valentin, über alle Schranken hinweg und obwohl dies ein Leben in Armut bedeutet, und auch Carlota und Tabitha folgen letztlich ihrem Herzen. Dabei entscheiden die jungen Frauen immer und ausschließlich impulsiv und niemals verschwenden sie einen Gedanken an mögliche Konsequenzen.

Alle sind noch sehr jung, als sie sich an einer Kreuzung befinden, wo sich ihr weiter Lebensweg entscheidet. Erst nach längerer Zeit, nach Entbehrungen und Zweifeln, erkennen sie jedoch, dass auch sie den einen oder anderen Fehler gemacht haben, dass auch sie einiges zu verzeihen haben und dass ihnen verziehen werden muss. Im Grunde ist es auch ein Mangel an Kommunikation, der zu manchem Unglück führt – so trägt Valeria jahrelang den Kummer um das verlorene Kind alleine in ihrem Herzen, Rosa sagt Albert nie die Wahrheit über sich und Fabien, und auch die Herren der Schöpfung, sowieso schon nicht die emotionalsten, verbergen ihren Schmerz und Kummer und ihre Zweifel tief im Inneren. Erst als alle zum Schluss die Wahrheit sagen, erzählen was sie bewegt, kommen sie zueinander. Der Kreis schließt sich mit Tabithas Tochter, die nach ihrer Urgroßmutter Rosa Rosalia genannt wird und so auch an die Mutters Rosas erinnert, die immer Rosen züchten wollte, um sich ein Stückchen Heimat zu bewahren.

Fazit: Ein toller farbenprächtiger Roman, der alle Facetten einer Liebes-, Abenteuer- und Familiengeschichte in sich vereint. Auch wenn man nicht alle Aktionen der jungen Frauen nachvollziehen kann und sich bei der einen oder anderen Entscheidung fragt, wie naiv man eigentlich sein kann, so lebt man doch jede Minute intensiv mit allen Protagonistinnen mit, klebt an den Seiten und kann das Buch nicht eher aus der Hand legen, bis endlich alles gut ausgegangen ist. Zum Schluss sind mir die Zeitsprünge teilweise sogar zu schnell gegangen – auf einmal sind wieder drei Jahre vergangen, man hätte doch gern über das eine oder andere Geschehen noch mehr erfahren. Es wird zu keinem Zeitpunkt langweilig, es passiert unheimlich viel, der Roman ist vor allem, wenn die Handlung in Montevideo spielt, atmosphärisch sehr dicht. Sicherlich eher ein Frauenroman, durchaus romantisch, hebt er sich dennoch deutlich von den üblichen „Schnulzen“ ab, da eben nicht alles eitel Sonnenschein ist, die Charaktere so vielschichtig sind und sich wandeln und nicht einfach nur gut oder böse sind. Hervorragend gelungen und zum Lesen dringend empfohlen!