Aufschlussreich und lesenswert

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kainundabel Avatar

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Jutta Jacobis Biografie über die Familie Schnitzler beginnt dort, wo Lebenswege enden: auf dem Wiener Zentralfriedhof. Giuliana, die Urenkelin des Schriftstellers Arthur Schnitzler, kümmert sich um die Gräber der Ahnen. Da wären Johann Schnitzler, der aus einfachen Verhältnissen stammend aus verschmähter Liebe von Ungarn nach Wien kommt, um hier Medizin zu studieren. Als renommierter Arzt ist er maßgeblich am Aufbau der Wiener Poliklinik beteiligt, während seine schriftstellerischen Ambitionen zur Nebensache werden. Anders bei seinem Sohn Arthur. Er wird ebenfalls Arzt, gibt diesen eher ungeliebten Beruf zugunsten seiner Schriftstellerpassion auf. Es ist ein wechselvolles Leben, das die Schnitzler-Generationen prägt. Den männlichen Protagonisten Johann, Arthur und seinem Sohn Heinrich sind amouröse Abenteuer und Seitensprünge jenseits ehelicher Treue eigen. Diese Gene scheinen durchgängig in ihnen zu stecken. Heinrich Schnitzlers Sohn Michael bringt es immerhin auf vier eheliche Beziehungen und ein außereheliches Kind. Die Klatschpresse hätte ihre Freude gehabt. Aber da sind auch die Schicksalsschläge, vor denen eben auch eine Prominentenfamilie nicht gefeit bleibt, der tragische Tod von Arthur Schnitzlers Tochter Lili und die Gefahren durch den unsäglichen Naziterror. Auch wenn die Schnitzlers säkulare Juden sind, schützt sie das nicht vor der Verfolgung. Sie müssen wie alle Juden um ihr Leben bangen und versuchen deshalb, Platz in (sicheren?) Ländern zu finden. Zugute kommt ihnen dabei eine gewisse Popularität und die Tatsache, dass man überwiegend in prominenten künstlerischen Kreisen verkehrt. Da hat jemand schon mal ein Chalet in der Schweiz, das vorübergehend Aufenthaltsort sein kann, bevor man Asyl in den USA findet. Hier wachsen die Kinder des Schauspielers und Regisseurs Heinrich Schnitzler als "Amerikaner" auf, während des Vaters Herz in Europa bleibt. Er kehrt später wieder nach Wien zurück.
Jutta Jacobi erzählt die Familiengeschichte der Schnitzlers kurzweilig, informativ, aufschlussreich. Ihr Sprachstil bedarf einer gewissen Gewöhnungszeit, hat aber auch etwas durchaus Sympathisches, allem voran das Stellen von Fragen, die mit Halbsätzen beantwortet werden. Familienbiografien sind naturgemäß gespickt mit zahlreichen Namen und verwandtschaftlichen sowie freundschaftlichen Beziehungen. Da ist der vorangestellte Stammbaum sehr hilfreich, er ermöglicht während des Lesens mit einem schnellen Blick die Orientierung. Eine Affinität zur Familie Schnitzler, vornehmlich zu Arthur Schnitzler und seinem schriftstellerischen Werk, ist für den Leser nicht vonnöten, auch wenn der Biografie gewisse Erläuterungen, Ausschnitte und Zitate nicht geschadet hätten. Als Fazit bleibt: eine lesenswerte Biografie einer besonderen Familie!