Lesenswert trotz zu vieler Fakten und zu wenig Interpretation

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wandablue Avatar

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Der erste Teil, in dem es um Arthur Schnitzlers Herkunftsfamilie geht und um den Autoren selbst, ist Jutta Jacobi sehr gut gelungen, man kommt Johann und Arthur auch emotional nahe.

Der junge Arthur wird von seinem Vater Johann, der als leidenschaftlicher jüdischer Arzt in seiner Karriere in Österreich/Wien Höhen und Tiefen erlebte, zunächst gezwungen, ihm in die Medizin zu folgen. Demgemäß ist Arthur Schnitzler zunächst einmal Arzt geworden und hat auch einige Zeit lang als solcher praktiziert bis er nach und nach als Schriftsteller leben und überleben konnte. Schon der Vater hatte schriftstellerische Neigungen ... .

Arthur heiratet schliesslich eine schwierige Persönlichkeit, Olga Schnitzler, eine Frau, die sich nicht einrichten kann in der ihr zugedachten Rolle als Frau und Mutter, und zeitlebens auf der Suche nach Eigenständigkeit und Familiengebundenheit hin und her schwankt, leider ist ihre künstlerische Identität nicht so ausgeprägt, dass sie sich in der von ihr gewünschten Art und Weise präsentieren hätte können. Die Familie hat in der Mutter keinen Halt und Arthur lässt sich nach langem Ringen um die Ehe schliesslich doch scheiden. Die Kinder Heinrich und Lilly leiden darunter. Lilly, Heinrichs kleine Schwester begeht mit 19 Jahren nach kurzer Ehe Suizid. Heinrich folgt dem Vater ins künstlerische Metier, wird erst erfolgreicher Schauspieler, dann Regisseur, arbeitet in Wien, Berlin, in den Staaten, wieder in Wien.

Heinrich Schnitzler emigriert in den schwierigen Jahren des Hitlerregimes in die Staaten, kommt nach mehr als sechzehn Jahren, die er und seine Frau Lilly in verschiedenen Stadien der Zufriedenheit mit ihren Kindern Peter und Max in den USA verbrachten, zurück nach Wien, wo er sich mehr und mehr dem Werk des Vaters widmet: „Von Wien aus kann er 1959 nach seiner Remigration viel leichter ein wirkungsvoller Anwalt des väterlichen Werks sein. Und [genau] das wird er in den mehr als zwei Jahrzehnten der ihm noch verbleibenden Lebenszeit.“

Ich mag den Stil Jutta Jacobis, doch im zweiten Teil bleiben häufig Fragen offen oder es gibt nicht nachzuvollziehende Auslassungen und keine Erklärungen des warum. Ein Beispiel: Bei einem ersten Europabesuch, der eine kleine Weltreise ist, die Schnitzlers klagen seit jeher auf hohem Niveau, können sie das ehemalige Wohnhaus nicht einmal besichtigen oder betreten, nachher bewohnen sie es jedoch scheinbar ohne Probleme. Deshalb habe ich, die ich mich vorher nicht mit der Familie Schnitzler befaßte, Interpretationen ihres Verhaltens oft schmerzlich vermisst, da und dort hat die Autorin zwar gewagt, vorsichtig eine Meinung zum Ausdruck zu bringen, doch für mich ist es zu wenig.

Sehr gut ist die beigefügte Stammtafel der Familie, so dass man sich jederzeit zurecht findet.

Fazit: Guter Ausdruck, guter Stil. Der Inhalt ist überwiegend interessant, dennoch liegt das Gewicht zu stark auf den Fakten und zu wenig auf der Interpretation.

Kategorie: Biografie // Residenz Verlag, 2014