Sprachlich toll, inhaltlich nicht ganz meins

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Gestohlene Momente im Stundenhotel, das Gefühl, nicht das aus ihrem Leben gemacht zu haben, was hätte sein können – die renommierte Verhaltensbiologin Claire ist sich nicht sicher, ob das was ist, was sie und ihr Mann Gilles seit Jahren miteinander, nebeneinander haben, alles gewesen sein soll. Als ihr Sohn Nicolas seine Freundin Julie vorstellt, lädt das Ehepaar die jungen Leute ein, den Sommer mit ihnen an der Betonischen Küste zu verbringen. Hier hat Claire mit elf Jahren zum ersten Mal zu sich selbst gefunden, immer wieder kehrt sie seitdem ans Meer zurück. Julie hingegen ist zum ersten Mal am Meer und gemeinsam mit Claire, mit der sie sich verbunden und vertraut fühlt, entdeckt sie sich selbst neu. Zwei Frauen auf der Suche nach dem Glück und nach sich selbst.

Nina Georges neuer Roman beschäftigt sich mit der Frage nach dem Sein, nach dem Sinn und dessen, was ein erfülltes Leben ausmacht. Dabei bedient sie sich in geradezu philophischer Manier Metaphern über das Meer und das Leben. Der Roman lebt von der wohlgeschliffenen, überbordenden Sprache und dem französischen Flair, das mit eingestreuten Vokabeln untermalt wird. Es ist ein Balanceakt zwischen Poesie und Schwülstigkeit, der fast immer gelingt. Nur manchmal fühlte ich mich von wohlgesetzten, geradezu bedeutungsschwangeren Sätzen gerade gepeitscht. Zu sehr drängte sich das Gefühl auf, belehrt zu werden und eine Lebensphilosophie aufgedrängt zu bekommen. Vor allem zu Beginn war ich auf der Suche nach der Geschichte inmitten verschwurbelter, sinntragender Sätze, die, um ihre Bedeutung noch zu unterstreichen, zuweilen kursiv gesetzt werden.

Mit Claire konnte ich mich kaum identifizieren, obwohl wir doch sicher alle auf der Suche sind. Trotz aller betonten Sinnlichkeit konnten mich ihre Gefühle kaum überzeugen. Sie blieb für mich unnahbar, keine ihrer Beziehungen, sei es die zum Mann, zum Sohn oder zu Julie, konnte mich berühren. Vielleicht lag es auch daran, wie sehr sie das Muttersein ablehnt und wie sie immer über allen Dingen zu schweben scheint. Keine Vorwürfe, keine Verletzungen angesichts der Untreue von Gilles.
Claires Midlife-Crisis konnte mich nicht abholen, obwohl wir fast im selben Alter sind. Es geht um die Vergänglichkeit und Begehrlichkeit der Jugend, um Sinnlichkeit im Alter, Begehren und stets die Frage, wer man sein können und ob es dafür zu spät ist. Grundtenor ist durchgehend das Thema Sex, der Genuss von Wein, Gerüche und das Meer.

Auch wenn ich das Buch sehr gut lesen konnte und ich die sprachliche Gewandtheit Nina Georges einerseits sehr bewundere, ihre kunstvollen Formulierungen mir jedoch hin und wieder auch ein wenig „too much“ sind, wird „Die Schönheit der Nacht“ nicht eines meiner Lieblingsbücher werden. Vielleicht komme ich in meinem Leben an die Stelle, an der ich das Buch nochmal lesen möchte. Sehr gefallen hat mir das Nachwort, in dem die Autorin erzählt, wie der Roman entstanden ist und was sie dabei getrieben hat.

Gespannt bin ich auf die Lesung mit Nina George am 17. Mai in der Buchhandlung Graff, für die ich mir bereits eine Karte geholt habe.

© Tintenhain