Die braunen Metastasen

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wilde hummel 1 Avatar

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Das Buchcover, fast ein Stillleben 'Alter Meister' und auch ein Bild von Angriff und Beute und ein Hinweis auf das Leitthema im Roman. Martina Clavadetscher verwebt in ihrem Roman ganz langsam die Querverbindungen der Personen und die vergangene mit der aktuellen Geschichte. Dafür braucht man etwas Geduld. Im ersten Teil werden die Menschen wie in einem Kammerspiel in das Scheinwerferlicht gezogen. Da liegt ein toter Mensch auf dem zugefrorenen See, über den ein Schlittschuhläufer stolpert. Der Archivar Schibig muss seinen Rückzugsort in der Vergangenheit verlassen und aktiv in die Gegenwart einsteigen, nicht zuletzt auf das Drängen der alten Dame Rosa, die in einem Wohnwagen lebt und mehr Facetten hat, wie auf den ersten Blick scheint. Und da sind noch die Herren mit den Zylindern und Kern, der mit seiner alten, herrschsüchtigen Mutter zusammenlebt. Wer den ersten Teil des Romans überwinden konnte, der wird belohnt mit der Zusammenfügung der Fäden und einer realen, gesellschaftskritischen Beschreibung einer schweizerischen Geschichte. Das Vergangene wirkt hinein ins Heute und der Schweizer Gebirgszug verfärbte sich sepiabraun. Hier begann für mich der Schrecken der Aktualität und die große Kunst der Autorin, nazibraune Wirklichkeit und die Macht des Geldes in kleinen Dosen in ihren Roman hineintröpfeln zu lassen und Geschichten aus der Geschichte als Lehrstücke und der Satz der alten Frau Kern: 'Ich komme immer wieder, ich bin die Metastase' oder die Aussage: 'Euer größter Fehler ist eure Toleranz' - ja, da war der Schrecken übergesprungen. Die Geduld mit dem ersten Teil des Buches und die Konzentration auf ihren besonderen Schreibstil (fast wie bildhafte, kurze Beschreibung von Filmszenen) wird belohnt mit einem Roman, der sich im zweiten Teil rasant verdichtet und die Puzzlestücke zu einem gewichtigen Gesamtbild zusammenfügt. Also nicht vor der Halbzeit das Spielfeld verlassen und unbedingt weiterlesen.