Eine Leiche, alte Legenden und ein historisches Erbe
Ein 13-jähriger Junge entdeckt beim Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Ödwiler See am schweizerischen Frakmont eine Leiche im Eis, die dort nicht sein dürfte. Ausgerechnet der eremitische, soziophobe Polizeiarchivar Schibig wird an den Fundort gerufen. Allein hält er die Stellung, bis die Kollegen kommen. Da gesellt sich die geheimnisvolle Rosa, eine mit Armbändern behängte Alte in wallenden Gewändern, zu ihm. Sie bietet Schibig nicht nur Kaffee mit Schuss an, sondern erinnert ihn an die Drachen- und Heldensagen der Region: Der Mann im Eis, ein entflohener Held? Die Alte stellt Fragen, die Schibig so nachhaltig beschäftigen, so dass er die Leiche als Scharnier zu seiner archivierten Vergangenheit begreift und sich gemeinsam mit Rosa auf komplexe Spurensuche begibt, bei der es um weit mehr als nur den Mörder geht.
Wir lernen weitere eigenwillige Figuren kennen. Kern, der schwerreiche Erbe, wird noch immer von seiner fast 100-jährigen Mutter am Gängelband gehalten. Wie eine Hexe wacht die Pflegebedürftige vom Bett aus über Kerns Familienleben. Insbesondere wird seine Frau Hanna zu abstrusen Ritualen gezwungen, die ihr zur ersehnten Schwangerschaft verhelfen sollen. Die alte Frau wünscht sich verbissen einen Enkel, fast jedes Mittel ist ihr recht. Doch Hanna ist kein willfähriges Opfer, auch sie sucht ihren Vorteil. Kern selbst wirkt getrieben, ist aber Mitglied in einem ominös patriotischen Männerbund, dessen Vorsitz er ebenso anstrebt wie fürchtet. Gegen ein geplantes Mahnmal auf dem Ödwiler Feld regt sich kollektiver Widerstand. Welche Beweggründe stecken dahinter?
Diese zwei Erzählstränge rund um Schibig und Kern werden abwechselnd miteinander verflochten und in Beziehung gesetzt. Lange kann man keine echten Zusammenhänge erkennen. Dennoch verfängt der stilistisch elegante Text sofort. Denn bei Clavadetscher sitzt jeder Satz. Relevante Informationen werden wie nebenbei eingestreut. Es gibt keine Redezeichen, stattdessen Gedankenstriche. Handlungsfäden, Rückblicke und Gedankenströme der Protagonisten fließen ineinander. Nach und nach dringt der Leser tiefer in das erzählerische Dickicht vor. Was oberflächlich als Krimi beginnt, bekommt immer mehr Tiefgang, entwickelt sich zu einem Gesellschafts- und Familienroman, in dem dunkle Machenschaften ans Licht drängen. Nicht nur Kerns Blick verliert die Konturen, auch Vergangenheit und Gegenwart schieben sich in- und übereinander.
„Der Schrecken der anderen“ ist ein außergewöhnliches Leseerlebnis, das sich zum anspruchsvollen Puzzlespiel entwickelt. Die Autorin konstruiert ihren Roman kunstvoll in ausdrucksstarken Bildern. Sie portraitiert das alpine, traditionsbewusste, teilweise abergläubische Hinterland, das sich seinen jahrhundertealten Helden noch immer verbunden fühlt und Berg- wie Moorgeistern Respekt zollt. Mit der Leiche tauchen alte Legenden wieder auf. Ausgefeilte Motive und Symbole überraschen in diesem klug komponierten Buch. Anleihen zur Schauerliteratur sind ebenfalls auszumachen, denn Realität und Fantasie verwischen zeitweise, was zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt.
„Der Schrecken der anderen“ ist kein leichter Unterhaltungsroman, sondern ein literarisch vielschichtiges Puzzlespiel, das am Ende erschreckend realistisch und authentisch für Erstaunen sorgt. Sobald man hineingefunden hat, erliegt man seiner Faszination. Man kombiniert, denkt mit und ist gefesselt von Sprache, Stil, Figurenensemble und Inhalt. Anfang und Ende greifen perfekt ineinander und ergeben des Rätsels Lösung: Alles ist mit allem verbunden – man hätte es doch wissen können.
So muss gute Literatur sein!
Wir lernen weitere eigenwillige Figuren kennen. Kern, der schwerreiche Erbe, wird noch immer von seiner fast 100-jährigen Mutter am Gängelband gehalten. Wie eine Hexe wacht die Pflegebedürftige vom Bett aus über Kerns Familienleben. Insbesondere wird seine Frau Hanna zu abstrusen Ritualen gezwungen, die ihr zur ersehnten Schwangerschaft verhelfen sollen. Die alte Frau wünscht sich verbissen einen Enkel, fast jedes Mittel ist ihr recht. Doch Hanna ist kein willfähriges Opfer, auch sie sucht ihren Vorteil. Kern selbst wirkt getrieben, ist aber Mitglied in einem ominös patriotischen Männerbund, dessen Vorsitz er ebenso anstrebt wie fürchtet. Gegen ein geplantes Mahnmal auf dem Ödwiler Feld regt sich kollektiver Widerstand. Welche Beweggründe stecken dahinter?
Diese zwei Erzählstränge rund um Schibig und Kern werden abwechselnd miteinander verflochten und in Beziehung gesetzt. Lange kann man keine echten Zusammenhänge erkennen. Dennoch verfängt der stilistisch elegante Text sofort. Denn bei Clavadetscher sitzt jeder Satz. Relevante Informationen werden wie nebenbei eingestreut. Es gibt keine Redezeichen, stattdessen Gedankenstriche. Handlungsfäden, Rückblicke und Gedankenströme der Protagonisten fließen ineinander. Nach und nach dringt der Leser tiefer in das erzählerische Dickicht vor. Was oberflächlich als Krimi beginnt, bekommt immer mehr Tiefgang, entwickelt sich zu einem Gesellschafts- und Familienroman, in dem dunkle Machenschaften ans Licht drängen. Nicht nur Kerns Blick verliert die Konturen, auch Vergangenheit und Gegenwart schieben sich in- und übereinander.
„Der Schrecken der anderen“ ist ein außergewöhnliches Leseerlebnis, das sich zum anspruchsvollen Puzzlespiel entwickelt. Die Autorin konstruiert ihren Roman kunstvoll in ausdrucksstarken Bildern. Sie portraitiert das alpine, traditionsbewusste, teilweise abergläubische Hinterland, das sich seinen jahrhundertealten Helden noch immer verbunden fühlt und Berg- wie Moorgeistern Respekt zollt. Mit der Leiche tauchen alte Legenden wieder auf. Ausgefeilte Motive und Symbole überraschen in diesem klug komponierten Buch. Anleihen zur Schauerliteratur sind ebenfalls auszumachen, denn Realität und Fantasie verwischen zeitweise, was zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt.
„Der Schrecken der anderen“ ist kein leichter Unterhaltungsroman, sondern ein literarisch vielschichtiges Puzzlespiel, das am Ende erschreckend realistisch und authentisch für Erstaunen sorgt. Sobald man hineingefunden hat, erliegt man seiner Faszination. Man kombiniert, denkt mit und ist gefesselt von Sprache, Stil, Figurenensemble und Inhalt. Anfang und Ende greifen perfekt ineinander und ergeben des Rätsels Lösung: Alles ist mit allem verbunden – man hätte es doch wissen können.
So muss gute Literatur sein!