Humorvoll und todernst

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johannaberger Avatar

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McGuffin „ist der Begriff für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, ohne während der Handlung selbst von besonderem Nutzen zu sein.“ (Wikipedia) Hitchcock soll den Begriff geprägt haben. Manchmal ist ein McGuffin dennoch von etwas größerer Bedeutung, die sich erst gegen Ende der Geschichte ergibt. Der Tote im Eis des Schweizer Ödwiler Sees, der die Handlung des Romans ins Rollen bringt, heißt McGuffin. Aha!

Es liegt etwas im Eis, das aussieht wie eine Leiche. Ein Junge hat sie beim Schlittschuhlaufen entdeckt. Finden wollte er die Methanblasen aus dem See. Ein Stück Jeansstoff, das vielleicht zu einem Menschen gehört, ragt vor ihm aus dem Eis. Der zuständige Polizist ist zu beschäftigt, um die Sache zu untersuchen und schickt einen Bekannten, den menschenscheuen Polizei-Archivar Schibig, damit der nachschaut, ob das wirklich eine Leiche ist. Der hat eine Angststörung, oft Panikattacken. Da war etwas Schreckliches in seiner Jugend, das er nicht vergessen kann. Dennoch geht er aufs Eis, von Weitem beobachtet von der recht merkwürdigen alten Rosa. Die hat noch eine Rechnung offen und braucht einen Partner in crime. Um die Aufklärung des Mordes an McGuffin geht es eigentlich bald nur noch am Rande. Das sei „kein Krimi“, meint sie, aber bald ist sie sich nicht mehr so sicher.
„Eine Rückkehrerin, eine ländliche Gegend, das skurrile Auftreten, die bunten Kleider, die Notizen, der heimliche Plan, die Mächtigen vor Ort werden in eine komplexe Falle gelockt, und die Übeltäter bezahlen für ihre damaligen Taten, sie schaufeln sich (sozusagen) ihr eigenes Grab, und zum Schluss lacht allein die alte Rosa, da sie mit ihrer Gerechtigkeit davonkommt, so entgleiten Schibig die Gedanken …“

Es gibt einen Verein mit Zylinder tragenden Größen der Gesellschaft, die gern für „gute Zwecke“ spenden, für eine Gemeinschaft wandernder Jungmänner etwa oder für Bildungsstätten, die die „richtigen Werte“ vermitteln. Im Mittelpunkt eine Alte im Dachgeschoss einer Villa, ein Überbleibsel aus alter Zeit, die trotz völliger Hinfälligkeit die Fäden in der Hand hält. Es geht im Kern (so auch der Name ihres Erben) um Nazigeld und -gold, um alte und neue Nazis und darum, was man sehen kann und was sich hinter Brillengläsern verschiebt. Eigentlich ist alles sichtbar, man muss es nur sehen wollen. Die Wahrnehmung zählt. Und dann muss das Handeln folgen, denkt Rosa. Wenn nicht, werden die Schrecken der anderen die eigenen Schrecken.
Eine sehr heutige Geschichte. Spannend (mit ein paar Längen im ersten Teil) und mit Witz erzählt. Kantig, humorvoll und todernst. Bergdrachen immer dabei. Machmal senden sie Rauchfahnen, damit man sie nicht vergisst.