Schrecklich schön

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daisyyyyy Avatar

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Die Schrecken der Anderen ist ein Titel, der im Grunde bereits alles sagt, was man über Clavadetschers neues Werk wissen muss: Es geht um individuelle und gesellschaftliche Schrecken, um die Anderen in Abgrenzung zum Selbst und es suhlt sich in allen Graustufen von Moralität.

Thematisch entwickelt sich die Geschichte rasant durch verschiedene Genre hinweg von Fokus zu Fokus, ohne zunächst viel darüber preiszugeben, in welche Richtung dieses Buch gehen möchte. Der Schreibstil ist dabei so außergewöhnlich fließend, dass selbst harte Gespräche und lange innere Monologe nie ihre Spannung verlieren. Nicht immer ist klar, wer spricht und wer denkt, ob Tatsachen gehört werden oder lediglich als Beobachtung akzeptiert werden, wodurch interessante Bewegungen der Erzählperspektive angestoßen werden. An dieser Stelle ergänzen sich auch Form und Inhalt sehr elegant, da die Fragen nach der Erzählung, der Reihenfolge von Geschehnissen und auch dem Weglassen von Details auch inhaltlich immer wieder zentrale Bestandteile der Handlung sind. Ebenso sind die Figuren gleichzeitig sehr speziell und individuell, werden aber ständig als "die Alte" oder lediglich mit Nachnamen "Schibig" oder "Kern" bezeichnet. Dadurch sind sie im gleichen Maße wichtig für die Geschichte als Individuen, ohne die es nicht weitergehen würde, aber auch absolut austauschbar durch Menschen mit ähnlichen Hintergründen und Motivationen. Diese Ambiguität macht diese Geschichte so ergreifend, da einem die Einzelschicksale so wichtig werden und sie gleichzeitig doch nur Platzhalter für die gleiche Geschichte in einem ganz anderen Setting sind.

Das Buch spricht über sehr aktuelle Themen und Historisches zugleich, denn wie Schibig selbst in seinen Gedanken über die Vergangenheit und das Archivieren anmerkt, geht die Geschichte nun einmal lediglich in eine Richtung. Alles baut auf der Vergangenheit auf, womit die Gegenwart stets nur im Kontext der Vergangenheit erzählt werden kann. Dafür ist dieses Buch ein sehr gutes Beispiel, da es eine erschreckende Zeitlosigkeit mit sich bringt, die sich auch im Fluch der Wiederholung zeigt, der ebenfalls mehrfach besprochen wird.

Über die Schrecken der Anderen zu lesen kann herausfordernd sein, weswegen es umso beeindruckender ist wie scheinbar leicht die Autorin es durch ihren Stil schafft harte Themen spannend lesbar zu machen und emotionales Verständnis für moralisch abwegige Haltungen aufzubauen. Alles in allem eine klare Empfehlung für alle.