Silvie Thalheim ist am Zug!

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tochteralice Avatar

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Impulsiv und spontan wie eh und je, jedoch mit einer Tiefe, die sie in Band 1 der Trilogie noch nicht erreicht hatte. Kurzum: die lebenslustige Silvie ist erwachsen geworden!

Bislang war die gewissenhafte und verantwortungsbewusste Rike mein uneingeschränkter Liebling - das hat sich nun geändert und ich glaube, ich mag Silvie sogar einen Tacken mehr, aber diese meine Sympathie, bzw. Begeisterung teilt sie mit einer ganzen Reihe weiblicher Nebenfiguren. Nachdem nun der Jungspund Wanja in ihr Leben getreten ist, bleibt abzuwarten, ob Silvie Wanjas Charme erliegen wird oder ob sie am Ende doch ganz andere Wege einschlagen wird.

Die zumindest in Westberlin wieder fetteren 1950er Jahre bilden den zeitlichen und räumlichen Rahmen für diesen Roman um die Familie Thalheim, mit dem Autorin Brigitte Riebe den zweiten Teil einer Trilogie begeht. Drei Schwestern - Rike, Silvie und Florentine - sind die Protagonistinnen: jeder der drei ist ein Band gewidmet. Also nun Silvie!

Sie ist eine Frau mit vielen Facetten - einerseits schillernd und gern im Mittelpunkt - wir erinnern uns aus dem ersten Band an ihre beginnende Sangeskarriere, nun jedoch ist sie seit einigen Jahres bei RIAS Berlin als Radiomoderatorin erfolgreich. Doch sie hat auch eine Seite, die sich der Literatur widmet und öffnet - und möglicherweise noch das ein oder andere weitere verborgene Talent, das sich uns nun zeigen wird. Und außerdem zeigt sich, dass ihr Familiensinn dem von Rike in nichts, aber wirklich gar nichts nachsteht.

Auch die gesellschaftlich-politischen Entwicklungen Berlins in den 1950er Jahren kommen nicht zu kurz - wir dürfen mit Familie Thalbach weiter den allmählichen Wiederaufbau Westberlins, aber auch die sich fortsetzende Teilung Deutschlands in Ost und West erleben. Auch über Berlin hinaus - so gibt es als "Bonbönchen" für Leseratten wie mich sogar einen ausgiebigen Ausflug zur Frankfurter Buchmesse inklusive einem Treffen mit Heinrich Böll.

Man darf gespannt sein, denn die Autorin Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin und hat ein Händchen dafür, spektakuläre und interessante, oft vergessene reale Alltagsereignisse der von ihr jeweils geschilderten Zeitspanne in den Handlungsverlauf einzubauen: Eine "Spezialität", die ich in ihren Werken immer ganz besonders genieße.

Also ein richtiggehender Lesegenuss, der aus meiner Sicht in Bezug auf Silvies Schicksal noch ein bisschen mehr ins Schwarze getroffen hat als im Vorgängerroman über Rikes Geschicke.

Genau mein Geschmack und insgesamt ein Buch, das in mir ein warmes, wohliges Gefühl interlässt, weil es so viele meiner (Lese-)Bedürfnisse befriedigt hat: eindringliche Charaktere, literarischer und historischer Anspruch, gute Unterhaltung, ein angenehmer, nicht zu gefälliger Stil, der etwas erfrischend Freches an sich hat - eine gelungene Fortsetzung der Trilogie , der mir den Einstieg in den kühlen Herbst versüßt. Schon jetzt bin ich mehr als gespannt auf den letzten Band - also auf die verträumte, künstlerisch begabte Florentine, zumal die Autorin in Band 2 zum Ende hin genau wie in Band 1 mit nicht nur einem Cliffhanger aufwartet.