Turbulenzen im modehaus Thalheim

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matheelfe Avatar

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„...Nur wer heute schon die Trends von übermorgen im Blick hat, kann auf die Dauer erfolgreich sein...“

Im Modekaufhaus Thalheim in Westberlin geht es aufwärts. Rike, die älteste Tochter des Seniors Friedrich, hatte daran wesentlichen Anteil. Bisher hatte sie die Fäden in der Hand, nun aber muss sich sich die Leitung des Modehauses mit ihrem jüngeren Bruder Oskar teilen, der aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist. Das hat allerdings tiefe Spuren bei ihm hinterlassen.
Silvie, Oskars Zwillingsschwester, ist froh, dass sie ins Modehaus nicht eingebunden ist. Sie hat sich ein festes Standbein als Moderatorin beim RIAS erarbeitet und schon Ideen für neue Sendeformate.
Die Autorin hat eine abwechslungsreiche und gut recherchierte Geschichte über das Leben in Berlin in den 50er Jahren geschrieben. Grundlage sind die Vorgänge in der Familie Thalheim, wobei in weiten Strecken Silvies Sicht im Mittelpunkt steht. Obwohl ich Teil I nicht kenne, hatte ich kein Problem, der Handlung zu folgen.
Der Schriftstil ist ausgereift und passt sich der jeweiligen Situation an. Der Roman beginnt im Jahre 1952 und endet 1957.
Gekonnt werde die politischen Verhältnisse in die Handlung integriert, sei es Stalins Tod oder die Unruhen in der DDR im Jahre 1953. Ein Teil der weitläufigen Verwandtschaft lebt in Ostberlin. Dadurch werden die innerdeutschen Probleme erlebbar. Friedrichs Bruder Carl hat sich bewusst für eine Rechtsanwaltskanzlei im Osten der Stadt entschieden. Das hat in erster Linie keine politischen, sondern private Gründe.
Deutlich wird, wie schnell sich die Lebensverhältnisse auseinander entwickeln. Während im Westteil der Stadt der Aufschwung an Fahrt gewinnt, herrscht im Osten noch der Mangel.
Detailliert wird dargestellt, mit welchen Initiativen das Modehaus um neue Kundschaft wirbt. Oskar allerdings ist eine Fehlbesetzung. Er will gut leben und hat Probleme, seine inneren Verletzungen zu kaschieren. Silvie verteidigt ihn lange, obwohl er ihr vorwirft, sich geändert zu haben.

„...Früher warst du irgendwie anders, lustiger, nicht auf den Mund gefallen und vor allem nicht so grässlich angepasst...“

Alkohol und schnelle Autos sind seine Mittel der Wahl. Damit das Kaufhaus nicht den Bach runtergeht, muss sich nun auch Silvie verstärkt einbringen.
Natürlich bleibt das persönliche Leben nicht ausgespart. Es ist ein Auf und Ab zwischen Freude und Trauer, Geburt und Tod, Liebe, Eifersucht und Untreue. Die gesamte Palette der Emotionen macht auch vor Thalheims nicht Halt. Das liest sich dann so:

„...Treue ist nicht nur, wenn man bleibt [...]. Treue ist auch, wenn man immer wieder zurückkommt...“

Mancher steckt die Niederlagen gut weg, andere drohen daran zu zerbrechen. Selbst heiße Eisen, wie gleichgeschlechtliche Liebe, werden angepackt.
Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Kultur werden auf Grund von Silvies Job gekonnt in das Geschehen integriert, seien es Willi Brandt oder Heinz Ehrhardt.
Eine ausführliche Darstellung der historischen Ereignisse schließt das Buch ab.
Der Roman hat mir ausgezeichnet gefallen. Er ist ein prima Zeitdokument.