Außergewöhnlich

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letterrausch Avatar

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Um das gleich am Anfang klarzustellen: Der Booker und ich haben eine sehr konfliktbeladene Beziehung. In der Regel gefallen mir die Romane, die letztlich den Preis mit nach Hause nehmen, nämlich nicht. Sie treffen einfach nicht meinen Geschmack. Dass diese Gefahr auch beim letztjährigen Gewinner bestand – Shehan Karunatilakas „Die sieben Monde des Maali Almeida“ - war mir von Anfang an klar. Doch der Plot klang einfach zu verlockend, um den Köder nicht zu schlucken: Maali, Fotograf im bürgerkriegsgebeutelten Sri Lanka der 80er Jahre, wird ermordet. Er landet in einer Art Purgatorium (man stelle sich jedes unterbesetzte Bürgerbüro dieser Welt vor, in dem Horden von Menschen Dinge erledigen müssen, aber gleichzeitig nicht wissen, an welcher Schlange sie sich anstellen sollen) und erfährt, dass er sieben Tage Zeit hat, seinen Frieden mit sich, der Welt und seinen Mördern zu machen. Das Ziel ist es, nach Ablauf dieser Zeit versöhnt mit allem ins Licht zu gehen. Aber will man das?

Erzählt wird die Geschichte – man höre und staune – vom verstorbenen Maali selbst. Karunatilaka entscheidet sich für eine einzigartige Erzählhaltung, indem er einen Ich-Erzähler wählt, der allerdings von außen auf das schaut, was ihm selbst wiederfährt. Erzählt wird in der zweiten Person Singular, in der gleichzeitig die Person adressiert wird, die spricht. Schon verwirrt? Gut, denn im Verlauf wird es nur noch komplizierter.

Diese außergewöhnliche Erzählhaltung ist wohl der eindrücklichste Kniff in diesem Roman, denn sie entwickelt sofort einen erzählerischen Sog, da das refrainartig wiederkehrende „du“ den Leser stets anzusprechen scheint, obwohl eigentlich der Protagonist selbst gemeint ist. Durch diesen Trick ist man während der Lektüre ununterbrochen auf Habacht, fühlt sich immerzu gemeint und aufgefordert, eine Position einzunehmen: zum Gelesenen, zum Plot, vor allem zu den Charakteren und zu Maali selbst. Das packt einen, jedoch nicht über die gesamte Strecke des über 500-seitigen Buchs. Solch eine hohe Schlagzahl kann man als Leser nicht ertragen, ohne zu ermüden. Zumindest ging es mir so. Karunatilaka erlaubt dem Leser keine einzige Verschnaufpause. Man sollte sich also vorher im Klaren darüber sein, dass die Lektüre dieses Romans als Arbeit einzustufen ist. Diese lohnt sich ja bekannterweise, aber manch einer würde eventuell doch die faule Freizeit vorziehen.

Denn die komplexe Struktur hört bei der Erzählhaltung nicht auf. Die Welt dieses Buchs wird bevölkert von Geistern, Ghulen und Dämonen, die sich in einer Art Zwischenwelt bewegen. In dieser Welt versucht Maali, seinen eigenen Mord aufzuklären und seine Freunde zu den Negativen seiner wichtigsten (sprich: politisch brisantesten) Fotos zu lotsen. Denn Maali war Kriegsfotograf, was wohl letztlich zu seinem unnatürlichen Ableben führte. Nun ist Maali keine sonderlich sympathische Figur. Anstatt eines moralisch unantastbaren Fotojournalisten, der die Gräuel des Bürgerkriegs dokumentiert, hat man es bei Maali mit einer Spielernatur zu tun, der auf jeder Hochzeit tanzt. Oftmals weiß man als Leser gar nicht, für wen er gerade arbeitet – und Maali scheint es auch nicht sonderlich zu interessieren. Das Geld, das er verdient, verspielt er im Casino. Und die immer wieder zärtlich beschriebene Liebe zu seinem Partner D.D. untergräbt Maali regelmäßig mit Seitensprüngen. So wie die Erzählhaltung versperrt sich also auch der Protagonist einem einfachen Zugang. Maali ist ein komplexer Charakter – sehr lebensnah, unglaublich detailreich beschrieben. Aber wirklich mögen kann man ihn nicht.

Vieles hier wirkt fremd. Es hilft, wenn man magischen Realismus mag, denn dann wird man sich einfacher auf diese groteske Geistergeschichte einlassen können. Wirklich den Hauptgewinn hat man, wenn man sich mit der Bürgerkriegsgeschichte Sri Lankas auskennt. Aber ganz ehrlich: Wer kann das schon von sich behaupten? Als unbedarfter europäischer Leser geht man hier bestenfalls mit der Erkenntnis heraus, dass sich in Sri Lanka verschiedene Ethnien bekämpft haben und dass alle Beteiligten bis in die höchsten politischen Kreise hinein korrupt waren. Alle weiteren Details sind vermutlich nur für Eingeweihte zu entschlüsseln oder wenn man bereit ist, beim Lesen parallell ständig Wikipedia-Einträge zu studieren. Nun ist es natürlich das gute Recht eines Autors, der eigenen Erzählung so viel oder so wenig politisch-gesellschaftlichen Kontext hinzuzufügen, wie es ihm beliebt. Die Sache ist halt nur: Der durchschnittliche internationale Leser wird hier ziemlich in die Röhre schauen, da sich viele Aspekte des Romans ohne Hintergrundwissen kaum entschlüsseln lassen. Dazu kommen dann noch unzählige Charaktere mit teils unaussprechlichen Namen, die auftauchen und wieder verschwinden und wieder auftauchen und wieder verschwinden und die Verwirrung ist komplett.

Letztendlich ist der Roman zu lang, der fulminante Auftakt zerfasert zunehmend in zu viele Figuren und nicht klar getrennte Zeitebenen. Das lässt sich natürlich mit der Handlung „wegerklären“ - dass die Dinge ziemlich verwirrend werden, wenn man erstmal tot ist, überrascht sicher kaum einen Leser. Trotzdem führt es dazu, dass man sich oft recht verloren fühlt in diesem Roman, der viel will – und einiges erreicht. Karunatilaka packt unglaublich viel in diese 500 Seiten, nur bleibt stets die Erkenntnis, höchstens die Hälfte zu verstehen.

„Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist ein Buch für diejenigen, die mit einer sperrigen Erzählung umgehen können, die gleichzeitig ein spektakulär gut gemachter literarischer Text ist. Karunatilaka hat hier wirklich etwas abseits ausgetretener Romanpfade versucht – sowohl in der Form als auch auf der Erzählebene. Allein dafür gebührt ihm Applaus. Dass nicht alles davon – für mich – funktioniert hat: geschenkt. Gelohnt hat sich die Lektüre trotz der Anstrengung, die das Lesen gekostet hat.