Rätselraten in Colombo

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Zuerst scheint er zu träumen, doch es ist kein Traum: Maali Almeida ist tot! Wie es dazu kommen konnte, ist ihm vollkommen schleierhaft. In einer Zwischenwelt erwacht der junge sri-lankische Kriegsfotograf und erhält die Gelegenheit, den Umständen rund um seinen Tod sieben Tage lang auf den Grund zu gehen. Dabei ist er ganz nahe an den Menschen, die ihm im Leben am nächsten standen: Seine gute Freundin Jaki, die mehr für ihn empfand als er für sie, und DD, Jakis Cousin, der für Maali mehr als eben nur ein guter Freund war, mit dem sich Maali eine gemeinsame Zukunft ausmalte. Doch in den Wirren des Bürgerkriegs geriet Maali zwischen die Fronten, taumelte von einem Auftraggeber zum nächsten, machte brisante Aufnahmen von wichtigen Entscheidungsträgern. Die Beweise für all diese Gräueltaten hat Maali gut versteckt, während im Hier und Jetzt alle Welt versucht, an die Fotos zu gelangen. Mit Hilfe der Geister im Zwischenreich (aber auch gegen einige) bahnt sich Maali seinen Weg zur finalen Erkenntnis.

„Alle Geschichten sind wieder aufgekocht, und alle Geschichten sind unfair. […] Und am Ende wird alles zu Staub. Bei jeder Geschichte geht am Schluss das Licht aus.“ (S. 211)

Der letztjährige Gewinner des Booker Prizes Shehan Karunatilaka legt mit „Die sieben Monde des Maali Almeida“ nicht nur seinen zweiten Roman vor, sondern auch ein Passepartout und Kaleidoskop der Gesellschaft und politischen Landschaft Sri Lankas in den 1990er-Jahren. Sein Protagonist Maali – schwul, Spieler, Abenteurer – steht stellvertretend für eine neue, aufgeklärt soziale Schicht, die sich unter dem Druck der herrschenden und sich gegenseitig bekämpfenden Regime aufbäumt. Ein Aufbäumen, das oftmals zum Tode führt...

In der literarisch selten gewählten Du-Form fliegen wir neben Maali durch seine Zwischenwelt-Existenz, spüren durch die ständige direkte Ansprache eine Art Komplizenschaft mit der Erzählstimme und der Hauptfigur gleichermaßen, eine Form von Mittler-Dasein. Genau diese Rolle hat Maali inne, versucht er doch gleichzeitig, seiner Todesursache und den Verantwortlichen für sein Ableben auf die Schliche zu kommen, dabei aber gleichzeitig auch seine Liebsten zu schützen. Das Lavieren zwischen Realität und Jenseits, zwischen Wirklichkeit, Traum und Imagination konstruiert Karunatilaka wie ein unentwirrbares Ganzes, in dem sich die Ebenen verschränken. Die Geisterwelt, die von Ghoulen und Dämonen, aber auch von Helfern bevölkert ist, greift immer wieder in das Geschehen ein, spielt das Zünglein an der Waage und steht dabei sinnbildlich für das Schicksal, das jederzeit mit aller Macht zuzuschlagen droht. Maali durchläuft in diesen sieben Tagen auch eine Art Katharsis, indem er sich über seine Taten zu Lebzeiten, unter anderem seine permanente Untreue oder auch sein ständiges Sich-in-Gefahr-Begeben, Gedanken macht, sie reflektiert und nachträglich bewertet. Die Fäden, die im Zwischenreich gezogen werden, wirken sich unmittelbar auf die Gegenwart aus, und es stellt sich die Frage: Wie viel haben wir eigentlich selbst in der Hand?

Karunatilaka gelingt es, seinen Leser*innen die neuere Geschichte Sri Lankas mit Hilfe seiner magisch erhöhten, in den Realismus hineinreichenden Erzählung nahe zu bringen. Während ich über diese Nation im Vorfeld herzlich wenig wusste, so hat mich die Fülle an Informationen bisweilen reichlich erschlagen, benötigte sie doch gelegentlich einiges an Parallel-Recherche. Und dennoch ist „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ein beeindruckender, kreativer, knallig bunter und politisch wie literarisch höchst relevanter Roman mit einem (Anti-)Helden, der sich selbst in Gefahr bringt und dabei einen Dienst an seinem Land leistet. Für jede*n mit der Energie für viel neuen Informations-Input eine sehr empfohlene Lektüre!