Schaurig-spannendes Highlight zum Jahresende

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
krabbe077 Avatar

Von

Lässt man Arthur C. Clarke mal außen vor, so ist Shehan Karunatilaka der erste sri-lankische Autor, den ich lese. Die sieben Monde des Maali Almeida ist außerdem das erste seiner Werke, das ins Deutsche übersetzt vorliegt. Dieses verhalf ihm 2022 zum renommierten Booker Prize. Meine Neugier auf das mir vollkommen Fremde, eine große Auszeichnung und nicht zu vergessen die wunderschöne Umschlaggestaltung waren in Kombination der Grund, warum ich das Buch unbedingt lesen wollte.

Der Roman handelt vom Fotografen Maali Almeida, der es sich zum Ziel macht, die skrupellosen und inhumanen Vergehen der verschiedenen Machtcliquen Sri Lankas mit seiner Kamera festzuhalten. Wir finden uns zu Beginn im „Dazwischen“ wieder, wo die Seelen sämtlicher Lebewesen nach ihrem Tod landen. So auch Maali, der direkt Nachforschungen zu seinem Ableben, an das er sich nicht erinnert, anstellt, und so das Reich der Toten erkundet. Sieben Monde bleiben ihm für dieses Unterfangen. Er trifft dabei auf zahlreiche Opfer der korrupten Regierung, der tamilischen Tiger und der kommunistischen JVP. Für mich war die brutale Geschichte und nach wie vor schwierige politische Gegenwart Sri Lankas absolutes Neuland, weshalb ich mir zwischenzeitlich einen kurzen Abriss über die Situation in Form einer Reportage angesehen habe. Das kann ich Lesern mit ähnlichen Voraussetzungen nur empfehlen, es hat das Verständnis für die Romanhandlung auf jeden Fall erleichtert. Neben Maali stehen vor allem Dilan (DD), sein Liebhaber und Mitbewohner, Jaki, seine beste Freundin und Mitbewohnerin, und Sena, ein toter Anhänger der JVP, im Fokus der Erzählung.

Wow, was für eine wilde Achterbahnfahrt! Der Autor legt gleich zu Beginn ein rasantes Erzähltempo vor, man wird in das „Dazwischen“ gesogen und findet sich direkt umgeben von Geistern mit abgetrennten Körperteilen, Ghoulen, Dämonen und anderer Wesen, deren Bezeichnungen mir neu waren. Erzählt wird das ganze von einem zu Beginn gewöhnungsbedürftigen Du-Erzähler. Dieser bewirkt mitunter einen gegenüber dem Protagonisten anklagenden Erzählton, was nicht verwundern sollte. Maali Almeida kann getrost als klischeehafter Antiheld bezeichnet werden. Als abgebrühter und risikofreudiger Glücksspieler und Aufreißer zieht er durch sein Heimatland, schläft mit jedem Mann, der nicht davonläuft, und schießt Fotos, die nach Ansicht der Mächtigen niemals die Öffentlichkeit erreichen dürfen. Damit ist er weder sympathisch noch originell, das stört aber nicht weiter. Der Roman lebt vielmehr von der Handlung und den weitaus weniger abgedroschenen Nebenpersonen und Dialogen. Das hohe Erzähltempo lässt zur Mitte des Romans ein wenig nach, nur um auf den letzten Metern noch mal mit ein paar nicht zu abgedrehten, aber dennoch spannenden Plot-Twists um die Ecke zu kommen. Das Ende wirkte ein wenig aufgebläht und hätte durchaus kürzer ausfallen dürfen.

Insgesamt bin ich absolut begeistert von diesem Buch, hätte mich am liebsten krankgemeldet, nur um es in einem Zug zu verschlingen. Eine Kategorie dafür zu finden, fällt schwer. Zu Beginn gaben mir die Leichenentsorger und Polizisten Roman noir-Vibes, das „Dazwischen“ lässt so manchen Schauerroman niedlich wirken, der Plot ist spannungsgetrieben wie ein spektakulärer Thriller und Maali Almeida könnte auch direkt aus einem Pulp-Magazin entsprungen sein. So vielseitig lesen sich auch die Vergleiche mancher Pressestimmen, die den Autor u. a. in einer Reihe mit Agatha Christie, Salman Rushdie, John le Carré oder Michail Bulgakow nennen. In meinem Kopf hat Shehan Karunatilaka Bilder einer Realität entstehen lassen, die mir zuvor völlig fremd war, die ich aber so schnell nicht vergessen werde. Für die ich ganz im Gegenteil in Zukunft offenere Augen und Ohren haben werde. Damit hat er einen Nerv getroffen, ist genau das doch eine meiner großen Motivationen, zu lesen. Wer diese Motivation teilt, kann bei diesem Roman nichts falsch machen!