Wahre Monster sind menschlich

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lesestress Avatar

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»Der Regen spuckt Blitze, und der Donner lässt Winde fahren. Du weißt nicht mehr, wie oft es seit deinem unvorhergesehenen Ableben schon geregnet hat. Entweder ist der Monsun früh dran, oder das Universum weint um dich und dein dummes, kleines Leben. Heute fallen die Tränen dick wie Tintentropfen, stürzen sich aus wütenden Wolken auf die Köpfe der Sanftmütigen.«

Colombo, Sri Lanka, Anfang der Neunzigerjahre. Der schwelende ethnische Konflikt zwischen Singhales:innen und Tamil:innen mündete schon Jahre zuvor in einem Bürger:innenkrieg und wird noch bis ins Jahr 2009 andauern. Aber das weiß Maali Almeida noch nicht. Allgemein weiß der heimlich schwule Kriegsfotograf nur wenig, als er eines (beliebigen?) Morgens im Jenseits erwacht. Während sein toter Körper gerade im Beira Lake versinkt, versucht Maali sich zu erinnern, wer ihn umgebracht hat – und warum. Die »himmlische Einwanderungsbehörde« gibt ihm sieben Tage Zeit das Rätsel um seinen eigenen Tod zu lösen. Aber in einem Land, wo Todesschwadronen, Auftragsmörder:innen und Selbstmordattentäter:innen das Sagen haben, ist die Liste der Verdächtigen leider bedrückend lang. Geister, Ghule und Dämonen sind Maalis neue Verbündete im wichtigsten Mordfall seines Lebens – seinem eigenen.

»Die sieben Monde des Maali Almeida« von Shehan Karunatilaka wurde bereits 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet und erscheint heute endlich in der deutschen Übersetzung von Hannes Meyer. Dank @vorablesen, durfte ich bereits in diese hochpolitische Kriminalgeschichte, abtauchen – und wow, das war ein wirklich wilder Ritt! Karunatilaka verbindet in seiner Erzählung Elemente des magischen Realismus mit den alltäglichen Gräueln des Krieges, und changiert so zwischen der Ver- und Entzauberung seiner Lesenden. Mit seinem Zynismus stellt er den Tod selbst bloß, nimmt ihm alles Grauen und hat mich mehr als einmal mit seiner trockenen Art laut loslachen lassen. Die Handlung entspinnt sich nur langsam, während die Ereignisse sich dauerhaft zu überschlagen scheinen. Fiebertraumartig und episodenhaft folgen Lesende den umherstreunenden Monstern und Maali, springen in Raum und Zeit zwischen Diesseits und Jenseits. Faktische und fantastische Informationen fließen ineinander und werden scheinbar ständig durchmischt. Die vielen Orte, Namen und Personen, aber auch Dämonen und Geister, machen die Suche im Mordfall »Maali Almeida« etwas undurchsichtig und so manches Mal hat mir die Stringenz gefehlt. Oft brauchte ich dann einige Sätze, um mich als Leserin wieder in der Geschichte verorten zu können. Trotzdem bin ich regelrecht in der Deduktion dieser Kriminalgeschichte abgetaucht und habe mich ihrer flirrenden Illusion beim Lesen hingegeben – ein Erlebnis so verstörend wie süchtig machend!

Viele Teile der Handlung sind so metaphorisch wie philosophisch. Alles ist politisch. Und obgleich es jede Menge Geister, Ghule und Dämonen gibt, bleibt die Erkenntnis, dass die wahren Monster menschlich sind. »Die sieben Monde des Maali Almeida« ist kein Easyread, aber ein funkensprühender Roman, den es sich zu lesen lohnt!