Erlösung oder Mord?

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elke seifried Avatar

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Bereits Echo des Schweigens und auch die Wahrheit der Dinge aus der Feder von Markus Thiele, der als Rechtsanwalt weiß von was er schreibt, haben mich äußerst gut unterhalten und deshalb habe ich mich sehr auf seinen neuen Titel gefreut. Ich wurde nicht enttäuscht.

„Es gibt verschiedene Formen der Sterbehilfe, darunter vor allem die aktive und die passive Begehungsweise sowie die Beihilfe zur Selbsttötung. Letztere liegt vor, wenn dem Sterbewilligen eine tödliche Dosis eines Medikaments zur Verfügung gestellt wird und er es selbst einnimmt. Der Helfer bleibt dabei– entgegen einer landläufigen Meinung– in Deutschland straffrei. […] Unter aktiver Sterbehilfe wird schließlich das bewusste und aktive Eingreifen zur Beendigung des Lebens verstanden. Dies kann etwa durch direktes Verabreichen einer tödlichen Medikamentendosis erfolgen. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern verboten– in den Niederlanden ist sie es dagegen nicht.“

Und genau dieses brisante Thema hat Markus Thiele dieses Mal zum Thema gemacht. Wieder einmal spielt der Autor dabei mit verschiedenen Zeitebenen, mit Hilfe derer der Leser die Protagonisten mit ihren Lebensgeschichten kennenlernen darf, um so ihr Verhalten, ihre inneren Zwickmühlen und ihre Beweggründe nachvollziehen zu können. In seinem dritten Roman spielen die beiden Freunde Jonas, Staatsanwalt mit der Aussicht auf Ernennung zum Generalstaatsanwalt und Max, der Arzt in Geldnöten, der wegen Sterbehilfe angeklagt werden soll, die Hauptrollen. Langjährige Freunde, der eine steht beim anderen in der Pflicht, dann gibt es noch Agnes, Tochter der dementen Maria, die selbstbestimmt sterben wollte, zu viel darf man hier gar nicht verraten, weil der Autor gekonnt mit deren Lebensgeschichten und Verknüpfungen untereinander, die er Stück für Stück langsam preisgibt, zu fesseln vermag. Hier und da noch kleine Wendungen und so bleibt bis kurz vor Schluss offen, für was Max angeklagt, auf was Jonas plädiert und welche Strafe verhängt wird. Das sorgt gekonnt für Überraschungen und Spannung. Markus Thiele vermag mit den Episoden aus den verschiedenen Leben zu berühren, so muss ich z.B. jetzt noch schmerzlich an einen Haufen Kartoffelschalen, die in Max Kindheit eine Rolle spielen, denken. Ich war deshalb emotional sehr nah an allen Mitspielern dran. Dies hat auch zur Folge, dass die Gedankenkreisel anspringen und der Autor völlig wertfrei und ohne erhobenen Zeigefinger, wieder einmal selbst Antworten finden lässt. So könnten die Worte, „Aber wenn Sie mich fragen, ob Max eine Strafe verdient hat für seine Handlungen, dann sage ich Ihnen, dass ich mir einen Arzt wie ihn wünschen würde, wenn es bei mir eines Tages so weit ist.“ aus meinem Mund stammen. Keine Vorstellung ist für mich schlimmer, als auf fremde Hilfe angewiesen vor mich hinsiechen zu müssen. Aber hier muss man sich auch dem Gedanken“ Kann das, was ich für mich selbst als richtig erachte, zugleich ein allgemeines Gesetz für jedermann sein?“ stellen. Gut gefällt mir auch, dass der Autor aufgrund seines Fachwissens, Gesetze und deren Sinn dahinter näher erklären kann, wie z.B. „Na ja, der Gedanke ist, dass ein Mensch den Handlungsablauf beim Sterben eines anderen nicht dominieren soll. Die letzte Entscheidung über das zum Tod führende Geschehen muss in der Hand des Sterbewilligen bleiben. Deshalb ist diese Grenze gar nicht so willkürlich.“ und auch andere Fälle und Rechtsfragen, wie die Mauerprozesse, der Abtreibungsparagrah oder auch die Frage, ob Gesetze nicht immer wieder auch einmal neu überdacht werden sollten, aufs Tapet kommen.

Nicht nur Anwalt Jonas, wird vom Autor, der vielleicht aus seiner Berufserfahrung sogar den einen oder anderen Selbstzweifel kennt, authentisch, vielschichtig und äußerst glaubwürdig dargestellt, auch alle anderen Charaktere sind mit viel Profil, überzeugend gezeichnet.

Alles in allem wieder ein fesselnder Roman, der gekonnt Fiktion mit Wahrheit verwebt, der seine Leser über den Wert von Freundschaft, die Bedeutung von Wahrheit, Schuld und Strafe und auch die Berufsethik eines Staatsanwalts reflektieren lässt. Dafür hat sich Markus Thiele meiner Meinung nach auf jeden Fall fünf Sterne verdient.