Mehr als ein Roman - und ein guter noch dazu!

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singstar72 Avatar

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Mir war der Autor bisher unbekannt - aber das Thema interessierte mich sehr. Eine Geschichte rund um die Dimensionen der Sterbehilfe. Und das dann noch anhand einer demenzkranken alten Frau! Ich bin selbst in der Pflege tätig, und fühlte mich sofort angesprochen.

Das Buch hat alle meine Erwartungen erfüllt, und sogar noch übertroffen. Es besitzt moralische Tiefe, ohne einseitig zu werden. Es bietet Denkansätze für den Leser in Fülle. Und noch dazu ist es schlicht eine gute Geschichte!

Ich hatte mehr oder weniger erwartet, hier einen "Thesenroman" vorzufinden, bei dem die Geschichte ein wenig hinterher hinkt. Doch weit gefehlt! Zugegeben, der Autor lässt sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln. Doch das hat gerade den Lesereiz ausgemacht.

Die Romanhandlung an sich wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet: sowohl aus der von Max, der bei Maria aufwächst und später Arzt wird, und aus der von Jonas, seinem besten Freund aus dem Internat. Er kannte ebenfalls Maria, hat viel Zeit mit ihr verbracht. Jonas wird Anwalt, ja sogar Staatsanwalt. Und tragischerweise hat genau er die Sache von Max zu vertreten, als dieser Marias letzten Wunsch umsetzt, sterben zu dürfen.

Das Buch beginnt mit Rückblenden in die Zeit von Jonas' und Max' Kindheit und Jugend, und wie sie durch einen tragischen Unfall gegenseitig in des anderen Schuld stehen. Es springt in die mittlere Vergangenheit, als beide Männer Entscheidungen für ihr späteres Berufsleben treffen, und auch den einen oder anderen Schicksalsschlag hinnehmen. Zuletzt gibt es Szenen aus der Gegenwart, davon der größte Teil im Gerichtssaal spielend.

Besonders gut gefallen hat mir, dass der Autor sich jeglichen Urteils enthält. Dennoch merkt man ihm den Juristen an, durch und durch. Denn auch ein Straftäter (und ein Richter!) hat eben eine Vorgeschichte, und das versucht er hier zu beleuchten. Menschen in Extremsituationen handeln nie aus dem "Nichts"! Man entwickelt als Leser Verständnis für sämtliche Positionen. Max hat als Kind Leid und Armut erlitten, in seiner Lebensgeschichte war der Tod ständiger Begleiter. Jonas hingegen, sein Freund, scheint nur auf den ersten Blick erfolgreicher. Er war immer abhängig vom Urteil seines eigenen Vaters, dessen Anerkennung er nie wirklich erlangen konnte. Und dann kommt ausgerechnet der Fall mit Max auf ihn zu... als er gerade dabei ist, zum Oberstaatsanwalt ernannt zu werden...

Auch die dezent eingeflochtene religöse Thematik hat mir sehr gefallen! Der Titel des Buches ist aus der Offenbarung des Johannes entlehnt. Max sieht sich nämlich in einer tragischen Position, war eigentlich gläubig, glaubt aber, Gott habe ihn verlassen. Es gibt einige sehr erhellende Gespräche in dem Buch, zum Beispiel mit einem Pfarrer, einem Angehörigen, und einem alten Richter.

Wie sehr die Familie einen Menschen prägt, zeigt das Buch ebenfalls. Und welche Fallstricke die Familie bereithält. Ich will hier nicht allzusehr spoilern, kann aber sagen, dass es als Leser durchaus nicht leicht ist zu beurteilen, wer hier das einfachere Schicksal hatte.

Zuletzt - das Buch basiert auf einer wahren Geschichte, die vor Gericht sogar als Präzedenzfall zitiert wird - ein Fall aus den Niederlanden. Überhaupt war ich von der Schilderung der Verhandlung fasziniert - Richter und Staatsanwälte sind ja durchaus keine Unmenschen, sondern sehen sich mit den Grundpfeilern des modernen Lebens konfrontiert, die sie ständig neu verhandeln müssen.

Ich bin wirklich rundum begeistert, habe viel dazugelernt, und würde dieses Buch rundum uneingeschränkt empfehlen. Entgegen der "schweren" Thematik ist es überaus gut lesbar, ohne flach zu sein.