Mörder oder Heilsbringer?

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kainundabel Avatar

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Gott scheint seine „Sieben Schalen des Zorns“ allesamt über Max Keller ausgegossen zu haben: der Vater ein Tyrann, der den Sohn „Kleiner Mörder“ nennt, weil die Mutter bei der Geburt starb, der von Max so geliebte Hof verfällt, ein traumatisches familiäres Ereignis lässt ihn den Halt verlieren, und jetzt droht ihn noch die Härte des Gesetzes zu treffen, hat er doch seiner geliebten Tante Maria beim Sterben geholfen. Ganz zu schweigen von dem Geheimnis um einen tödlichen Autounfall, das ihn und seinen besten Freund Jonas schon seit langer Zeit verbindet. Ausgerechnet Jonas muss nun in der Rolle des Staatsanwalts den Freund und Arzt Dr. Max Keller anklagen. Die ethisch-moralische und gesellschaftliche Brisanz der Frage, ob – legale/illegale -Sterbehilfe oder Mord, stellt Markus Thiele spätestens ab Seite 265 seines Romans in den Mittelpunkt, denn hier beginnt offiziell der Prozess gegen Max. Nirgendwo sonst lässt sich die Debatte so intensiv führen wie im Gerichtssaal. Hier prallen sie förmlich aufeinander: Staatsanwalt, Verteidiger, Angeklagter, Richter, Zeugen, Gutachter. Die Fakten liegen zumindest offensichtlich auf der Hand. Maria hat Max ausdrücklich um diese Sterbehilfe in auswegloser Situation gebeten, wehrt sich aber bei der Ausführung in ihrer hochgradigen Demenz mit Händen und Füßen dagegen. Ist Max nun Heilsbringer oder Mörder? Dieser Frage geht der Roman nach, indem er die juristische Seite ebenso beleuchtet wie die humane. Das gelingt dem Autor ausgesprochen gut und vor allem ohne Einseitigkeit und vorschnelles Urteil.
Störend beim Lesen sind allerdings die abschweifenden und überflüssigen Passagen, in denen ich gewisse Vorlieben und Kenntnisse des Autors etwa für Musik und Segeltechniken vermute, die er gerne in der Handlung unterbringen wollte. Banale, wenn auch kurze Beobachtungen unterbrechen den Erzählfluss sehr oft, ob es die gegen eine Scheibe knallende Möwe oder das x-te Tuten eines Schiffes in der Hafeneinfahrt ist. Thematik und Handlung des Romans sind spannend und berührend, da kann auf störende „erzählerische Mätzchen“ getrost verzichtet werden.
Trotz dieser Einschränkungen: ein lesenswerter Roman über ein kontroverses Thema!
Für mich war die Lektüre Motivation, mich einmal mehr intensiver mit dem Thema der Sterbehilfe zu beschäftigen. Irgendwann könnte jeder vor der entscheidenden Frage stehen: Wie kann ich menschenwürdig sterben?