Selbstbestimmung am Lebensende

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dorli Avatar

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Hamburg. Für den Staatsanwalt Jonas van Loon ist der Posten des Generalstaatsanwaltes zum Greifen nahe, doch ein 25 Jahre zurückliegendes Ereignis droht ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen: Max Keller - seit Internatstagen ein guter Freund von Jonas und heute Allgemeinmediziner mit eigener Praxis - hat damals die Schuld auf sich genommen, als Jonas alkoholisiert Auto gefahren und in einem schweren Unfall verwickelt war, bei dem ein gemeinsamer Freund zu Tode kam. Ohne Max’ selbstloses Handeln wäre Jonas Karriere vermutlich schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hätte…

Heute ist es Max, der dringend Hilfe braucht. Er bittet Jonas, ihn vor dem Verlust seiner Approbation und einer möglichen Gefängnisstrafe zu bewahren. Max hat - in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun - seiner Tante und Ziehmutter Maria einen großen Wunsch erfüllt: nachdem sie die Diagnose Demenz bekommen hat, hat Maria Max das Versprechen abgenommen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, wenn die Krankheit ihr das Leben zur Qual machen sollte. Patientenverfügung und Abschiedsbrief wurden geschrieben, damit Max ihren Willen belegen kann, doch die Dokumente sind nach Marias Tod aus ihrem Tresor verschwunden. Dass Maria Max als Alleinerben eingesetzt hat und Max zudem in argen finanziellen Schwierigkeiten steckt, spricht nicht gerade für ihn. Plötzlich steht sogar der Vorwurf Mord aus Habgier im Raum…

Markus Thiele versteht es ganz ausgezeichnet, in seinen Romanen die juristische Sichtweise auf gesellschaftlich gewichtige Themen auch für den Laien leicht verständlich darzustellen und lädt seine Leser damit ein, über diese Dinge nachzudenken und sich ein eigenes Bild zu machen.

In „Die sieben Schalen des Zorns“ geht es um Sterbehilfe und die aktuelle Rechtslage zu diesem Thema. Der Autor macht im Verlauf der Handlung deutlich, wie schmal der Grad zwischen Legalität und Straftat ist und geht der Frage nach, wie weit das Recht auf einen selbstbestimmten Tod reicht. Gut gefallen hat mir, dass auch die moralischen Aspekte und religiöse Ansichten beleuchtet werden.

Die Handlung hat mich schon nach wenigen Seiten gefesselt. Markus Thiele wartet nicht nur mit einem interessanten Thema auf, er erzählt die Geschichte auch äußerst spannend. Bevor es um den eigentlichen Prozess geht, in dem über Max’ Handeln geurteilt werden soll, erfährt der Leser in mehreren Rückblenden allerlei aus den Leben von Max und Jonas. Über ihre familiären Hintergründe, ihre unterschiedlichen Charaktere, die Höhen und Tiefen, die sie durchgemacht haben und über ihre gemeinsamen Erlebnisse. Als Leser lernt man die beiden Protagonisten auf diese Weise nicht nur richtig gut kennen, es wird auch greifbar, wie groß die Belastung für Max und Jonas und ihre Freundschaft nach Marias Tod ist. Auch wenn ich sehr neugierig war, wie die Geschichte für Max ausgeht, fand ich es noch spannender, Jonas zu beobachten. Dieser steckt in einer Zwickmühle: Er fühlt sich natürlich dem geschriebenen Gesetz verpflichtet. Er ist Staatsanwalt, kein Strafverteidiger, seine Rolle in diesen Fall ist damit eindeutig geregelt. Davon abzuweichen, könnte ihm die Karriere kosten. Dennoch möchte er seinem Freund helfen, auch wenn dieser nach geltender Rechtssprechung eine Grenze überschritten hat. Jonas beginnt, sich auf unterschiedliche Weise mit der Situation und seiner Aufgabe auseinanderzusetzen…

„Die sieben Schalen des Zorns“ hat mir sehr gut gefallen – ein tiefgründiger Roman, der genauso kurzweilig wie eindringlich erzählt wird und zum Nachdenken über die Frage nach einem selbstbestimmten Lebensende animiert.