Klasse Krimi

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aniya Avatar

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Turton erfindet mit seinem Debüt das Rad nicht neu und bedient sich hemmungslos bei bekannten Krimiautorinnen. Allerdings nehme ich ihm das nicht allzu übel. Seine Geschichte liest sich nämlich ein bisschen wie eine Hommage an eben diese Frauen.

Und worum geht's?
Ein alter entlegener Landsitz. Eine Schar von Gästen, die schon einmal dort waren, vor vielen Jahren, als ein Mord passierte. Und am Ende des Tages wird es wieder einen geben...
In dieser Welt erwacht unser Protagonist, ohne Namen, ohne Erinnerungen. Das einzige Wort, das im Kopf herumspukt ist "Anna".
Nach und nach erfährt er, dass sich dieser Tag wiederholen wird und zwar acht mal. Jeden dieser Tage wird er in einem anderen Menschen verbringen, seinem "Wirt". Sein Ziel ist es, den Mord an Evelyn Hardcastle aufzuklären, der wie ein Selbstmord aussieht - nur so kann er aus dieser Endlosschleife entkommen.

Die Story profitiert wahnsinnig davon, dass man anfangs genauso wenig weiß, wie der Hauptcharakter (der in der Ich-Form erzählt) und alles gemeinsam mit ihm herausfindet.
Deshalb mag ich diese "Ohje-Gedächtnisverlust-was-ist-hier-nur-los"-Bücher so: es schweißt unwahrscheinlich zusammen, gemeinsam mit dem Prota verwirrt zu sein und sich an jede neue Erkenntnis zu klammern. Eine Bindung entsteht unter diesen Umständen einfach sehr leicht.
Außerdem geht es sofort los. Keine ellenlangen Erklärungen, keine langatmige Hintergrundgeschichte. Alles entfaltet sich im laufe der Geschichte und man fliegt nur so durch die Seiten.

Dass unser Held den Tag aus der Sicht verschiedener Personen erlebt und somit auch zahlreiche Möglichkeiten hat, an Indizien zu kommen, war für mich ein ganz besonderer Twist.
Vor allem deshalb, weil seine anderen Wirte gleichzeitig mit ihm herumlaufen und ermitteln und er auch ab und an Hinweise und Hilfe von seinen zukünftigen Ichs bekommt.
Leider sehe ich in dieser tollen Idee auch eine verpasste Chance:
Sowohl der Hauptcharakter (der ja sonst eigentlich nichts über sich weiß) als auch alle acht Wirte sind männlich.
Ich glaube, es hätte die Story noch spannender und interessanter gemacht, wenn die Hälfte davon weiblich gewesen wären. Das hätte noch mal ganz neue Perspektiven und umfassenderes Bild ergeben!
Auf der anderen Seite weiß ich jedoch nicht, wie gut der Autor das hinbekommen hätte und ob ihm da eine anständige Charakterisierung zuzutrauen ist.
Am Ende habe ich dann lieber keine Frau, als ein peinliches "Oh wow, ich stecke auf einmal in einem Frauenkörper und habe Tittis *hihihi*".

Ein paar Warnungen habe ich auch noch, denn die Wirte sind alle ganz unterschiedlich. Einer ist beispielsweise wahnsinnig dick und der Autor ergießt sich in fettphoben Beschreibungen, die einfach kein Ende nehmen wollen. Da ist von Massen und Fleischbergen die Rede, von Scham und Ekel. Ein Aspekt, der mir persönlich nicht ganz so gefallen hat, denn Bodyshaming kenne ich von früher noch allzu gut (aber in die andere Richtung).
Ein anderer Wirt ist ein Vergewaltiger und der Prota kämpft mit dessen ekelhafte Gedanken. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass dieser Typ schon viele Frauen missbraucht hat und seine Mutter sorgt dafür, dass ihm deshalb keine Strafe droht.
Es wird nichts ausführlich beschrieben, aber wer mit diesem Thema Probleme hat, sollte etwas vorsichtig sein.

Insgesamt ist das Buch spannend und wahnsinnig unterhaltsam und ich hatte viel Spaß dabei, selbst mit zu rätseln und meine eigenen Vermutungen anzustellen.
Definitive Leseempfehlung für Krimifans, auch wenn das Ende für mich ein kleines bisschen zu dünn war!