Ein anspruchsvolles Debüt!

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lesestress Avatar

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„Bist du mehr deutsch oder kurdisch, fragte die Mutter der Schulfreundin. Deutsch, sagte Leyla, und die Mutter der Schulfreundin wirkte zufrieden.
Fühlst du dich mehr deutsch oder kurdisch, fragte Tante Felek. Kurdisch, sagte Leyla, und Tante Felek klatschte vor Freude in die Hände.“

Leyla ist die Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurden. Geboren und aufgewachsen in Deutschland, verbringt sie jeden Sommer seit ihrer frühesten Kindheit im Dorf der Großeltern in Nordsyrien, nahe der Türkei. Die Sommer sind lang und heiß und Leyla bemerkt früh, dass sich ihr Leben stark von dem ihrer Cousins und Cousinen unterscheidet. Hin- und hergerissen zwischen dem Leben in Deutschland, den Erinnerungen ihres Vaters und den sehr unterschiedlichen Erwartungen ihrer Familie, die zwischen arrangierter Ehe und Studium changieren, ist es für sie schwierig ihren Platz in all dem zu finden.

Episodenhaft-fragmentartig erzählt Ronya Othmann in ihrem Debüt die Geschichte einer Kindheit zwischen den Welten und entwickelt ihre Protagonistin zur jungen Frau, zerrissen vom politischen Geschehen um Assad, ängstlich ihre kurdischen Angehörigen zu verlieren und gleichzeitig unfähig, die Teilnahmslosigkeit ihrer deutschen Mitmenschen zu ertragen, die schon an Ignoranz grenzt.

„Die Sommer“ ist ein anspruchsvolles Buch – thematisch, wie auch strukturell und so gibt es keine Kapitel, sind die verschiedenen Absätze alle einzelne Gedanken, unsortierte Fragmente und Erzählungen ohne wörtliche Rede. Diese Nüchternheit im Text machen Leyla zu einer distanzierten Ich-Erzählerin und lassen sie leider an manchen Stellen etwas farblos wirken. Dennoch verstehe ich die Idee hinter dem Stil und sehe die aufkeimende Sehnsucht eines jungen Mädchens auf der Suche nach Zugehörigkeit.

Othmann ist ein wichtiger Roman unserer Zeit gelungen – hochaktuell und informativ. Ein Roman, den ich mir erkämpfen musste, aber den es sich zu lesen gelohnt hat!