Komplexer Politkrimi mit China-Expertise

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alasca Avatar

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IOC-Kongress in Shanghai. Charles Murandi ist ein ehemaliger Vertragsarbeiter aus Mosambik, der in den 80ern in den Minen der DDR geschuftet hat. Nun ist er IOC-Funktionär - und tot. Polizeikommissar Luo ermittelt – wenn die Parteifunktionäre ihn lassen. Thomas Gärtner, Journalist und Murandis Freund aus Post-DDR-Zeiten, wird der Tat verdächtigt. Niemand hält ihn für schuldig, vor allem Attachée der deutschen Botschaft Lena Hochfellner nicht, die ihn von früher kennt. Spiegel-Journalist Daniel wurde entsandt, um über den Besuch der deutschen Kanzlerin in Shanghai zu berichten und freut sich, seinen verhassten Kollegen in Schwierigkeiten zu sehen.

Eine komplexe Story hat sich Stephan Schmidt, aka Thome, für diesen Krimi ausgedacht. Chinesische Interessen in Afrika, die Interessen der DDR in Mosambik, die Kabbale rund um die Vergabe der nächsten Olympischen Spiele. China hat wirtschaftliche Interessen in Afrika, Deutschland in China und kann deshalb nicht offen gegen Afrika votieren. Wie immer bei Thome glänzend recherchiert, eröffnet der Roman ganz neue Sichtachsen. Von der empörenden Geschichte um die Madgermanes, wie die Vertragsarbeiter in ihrem Heimatland genannt werden, die von beiden Staaten um einen großen Teil ihres Geldes betrogen wurden, hatte ich vorher nie gehört. Aber vor allem Schmidts fundierte Kenntnis chinesischer Verhältnisse kommt dem Buch zugute.

Wie es sein muss, in China zu leben, dafür bekommt man im Verlauf des Romans ein gutes Gefühl. Wobei, gutes Gefühl: Haben Sie schon mal von den „Überzähligen“ gehört? Das sind die Kinder, die während der Zeit der Ein-Kind-Politik als zweites Kind ihrer Eltern geboren wurden. Konnten ihre Eltern die Geldstrafe nicht bezahlen, (und manchmal auch dann), bekamen sie keine offizielle Identität zugestanden, durften nicht zur Schule gehen, mussten immer unter dem Radar bleiben. Was macht das mit einem? Eine dieser Überzähligen spielt eine große Rolle im Roman.

Was mir besonders gut gefiel, war die Ambiguität von Schmidts Darstellung: Ein Text der unzähligen Grautöne. Sei es der zynische Pragmatismus der Chinesen gegenüber ihrem Staat, sei es die allgegenwärtige Korruption in den afrikanischen Staaten: Die Menschen dort wollen einfach nur überleben. „Die Spiele“ vermittelt eine Ahnung davon, was das bedeuten könnte. Moral als Luxus der reichen europäischen Länder? Schmidt bürstet die moralische Arroganz der Europäer kräftig gegen den Strich.

Das funktioniert vor allem aufgrund der Tiefe von Schmidts Charaktere. Deren Biographien spiegeln die jeweiligen Verhältnisse und machen sie nachfühlbar. Sie vermitteln ihre Zwänge – und dass die persönliche und historische Vergangenheit, wenn sie unverarbeitet bleibt, weiterhin die Gegenwart bestimmt. Stück für Stück wird im Roman das Gewesene aufgedröselt; dabei kommt beträchtliche Spannung auf.

In all der Ernsthaftigkeit gibt es auch Oasen der Leichtigkeit wie die äußerst gelungene Figur der Kanzlerin. Zwar weist Schmidt im Nachwort darauf hin, dass auch dieser Charakter fiktiv ist, aber die Eigenarten von Mutti sind fein getroffen. Der ständig einnickende Seehofer mit seiner Märklin-Bahn hat satirische Qualitäten, die für Comical Relief sorgen; ebenso z. B. die Szene zwischen Kommissar Luo und seiner Geliebten, kurz bevor unerwarteter Besuch an seine Tür klopft. Was das für ein Leben sein muss, wo das jederzeit jedem passieren kann, man mag es sich nicht vorstellen.

Der Roman endet so realistisch wie zwangsläufig, ein Ende, das mich ziemlich erschüttert hat. Schmidt hat sich, so mein Eindruck, den chinesischen Zynismus ein Stückweit zu eigen gemacht und ihn auch auf Deutschland angewendet. Das ist aus meiner Feder kein Tadel, im Gegenteil, ich fand das höchst passend und angemessen. Der Buchtitel „Die Spiele“ erweist sich als ungemein beziehungsreich.

Fazit: Tiefgründige Figuren in einem großartigen Mix aus Doku und Drama, aus Polit-Krimi und Geschichtsunterricht, dazu sprachlich so souverän, wie man es von Thome gewohnt ist. Empfehlung!