Anriss eines spannenden Themas

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chaosbaerchen Avatar

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Paulo Coelho hat einige Werke geschrieben, mit denen ich aufgrund ihres esoterischen Touchs nicht viel anfangen konnte, aber auch andere, die mich durchaus angesprochen, begeistert und sogar nachdenklich gemacht haben. Seinen Schreibstil finde ich sehr angenehm, und wenn das Thema des Buches mich interessiert, dann hat es gute Karten bei mir. So ging es mir auch bei dem Buch, um das es hier geht.

„Die Spionin“ ist ein fiktiver biographisch angehauchter Briefroman, der eine Frau porträtieren soll, um die viel Wirbel gemacht wurde – damals wie heute: Mata Hari.

Ein Mythos hat jedoch nur so lange Bestand, wie man die Wahrheit nicht kennt. 2017 dürfen die Akten nach 100 Jahren geöffnet werden und dann zeigt sich, ob Mata Hari wirklich die Doppelspionin war, für die man sie bei ihrer Anklage vor dem Kriegsgericht 1917 gehalten hat, oder ob es nicht vielmehr ein politischer Schachzug war, der ihre Naivität und ihr unkonventionelles Verhalten zu seinen Zwecken missbraucht hat.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die von einem Prolog und einem Epilog umschlossen sind. Die ersten beiden Teile bestehen aus einem letzten Brief, den die Verurteilte kurz vor ihrem Tod im Pariser Frauengefängnis an ihren Verteidiger Maître Clunet schrieb, und in dem sie ihr Leben Revue passieren lässt. Zu diesem Zeitpunkt ging sie von einem Gnadenerlass durch den Präsidenten der Republik aus, war aber offenbar auch innerlich auf das Todesurteil gefasst. Sie geht in dem Brief mit sich selbst ins Gericht und will verstehen, was man ihr vorwirft, wo sie sich doch keiner Schuld bewusst ist. Der dritte Teil besteht aus einem Brief von Maître Clunet an Mata Hari, wobei diese ihn wohlweislich niemals wird lesen können. Der Verteidiger will sich erklären, will die Sachverhalte ordnen und selbst verstehen, was schiefgelaufen ist.

Auch wenn das Buch nun wahrlich nicht dick ist, so steht doch eine ganze Menge darin – vor allem zwischen den Zeilen. Coelho hat das Thema unterhaltsam und angenehm verpackt, so dass es nicht so trocken wie ein Wikipedia-Eintrag rüber kommt. Ich weiß jetzt, wer und was sich hinter dem orientalisch anmutenden Namen Mata Hari verbirgt und das finde ich toll. Dass man auf nicht einmal 200 Seiten keine minutiöse Abhandlung des 41-jährigen Lebens der Protagonistin verfassen kann, ist logisch und sollte meines Erachtens auch nicht erwartet werden. Das Gleiche gilt für die offenen Fragen, die das Buch hier und da hinterlässt. Es ist ein kurzer Anriss eines recht kompakten Rechtsfalls um 1900, das in einer Hinrichtung mündete – nicht mehr und nicht weniger.

Mich hat das Buch gut unterhalten und informiert und diesbezüglich alles andere als enttäuscht. Ich kann es jedem empfehlen, der in das Thema einsteigen möchte. Man sollte sich jedoch – sofern nicht vorhanden – einen groben Überblick über die (politischen) Ereignisse in Frankreich und Deutschland vor und während des Zweiten Weltkriegs verschaffen, bevor man das Buch anfängt.