Leben und Tod der Mata Hari

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marionhh Avatar

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Paris, Oktober 1917: Mata Hari, die berühmte Tänzerin, sitzt in einem französischen Gefängnis und wartet auf ihr Urteil. Sie ist zuversichtlich, was ihre Zukunft angeht, hat sie doch einflussreiche Freunde. Nichtsdestotrotz, um im Falle einer Verurteilung etwas für die Nachwelt zu hinterlassen, schreibt sie ihrem Anwalt einen Brief, in welchem sie aus ihrem Leben erzählt. Es wird zum Tagebuch und einer Chronik ihrer letzten Tage auf Erden.

Paul Coelho hat einen durchaus sehr gut zu lesenden Schreibstil, prägnant und schnörkellos, dennoch eindringlich und flüssig. Es liest sich gut, sein Buch. Seine Geschichte ist formal in drei Teile unterteilt, eingefasst in Pro- und Epilog. Es kommt edel gebunden daher mit tollem Schutzumschlag und enthält zudem einen Anhang mit einen Brief und einem Artikel sowie Danksagung und weitere Werke des Autors. Inhaltlich konzentriert sich alles auf Mata Hari, sie ist die Hauptfigur, die Sonne, um die sich alles dreht, alle anderen Charaktere bleiben neben ihr naturgemäß blass. Sind die ersten beiden Teile ihr Brief an ihren Anwalt Clunet, so ist der dritte Teil ein Brief Clunets an sie, den sie freilich nie erhalten wird. In diesem werden die Ereignisse relativiert, Clunet, obwohl in sie verliebt, sieht sie recht realistisch. Clunet beschreibt außerdem den Prozess und den Versuch, Mata Hari zu verteidigen, doch steht er allein auf verlorenem Posten. Er macht jedoch deutlich, dass die sogenannten „Beweise“ gegen sie an sich haltlos waren und sie nur ein Bauernopfer.

Trotz detaillierter Darstellung ihres Charakters blieb Coelhos Hauptfigur mir merkwürdig fremd und erschien emotionslos. Hat man anfangs noch Mitleid, so wurde sie mir zunehmend unsympathisch, und ich sehe sie auch nicht als emanzipierte Frau oder als „eine der ersten Feministinnen“. Sie verlässt ihren Mann und ihr Kind, um nach Paris zu gehen, weil ihr Holland „zu provinziell“ ist. Trotz aller Schicksalsschläge, Missbrauch und Demütigungen hat sie ungeheures Selbstvertrauen und steigt einfach in einen Zug, völlig mittellos. Aus irgendwelchen Gründen – wohl weil sie die in Indonesien gesehenen tänzerischen Darbietungen beeindruckt haben – will sie als Tänzerin arbeiten und exotische, angeblich alte rituelle Tänze auf der Bühne darstellen. Sicher hat sie Talent, doch die Hauptattraktion ist ihre Nacktheit, ein Skandal in damaliger Zeit. So wird sie zum Gesprächsthema Nummer eins, und die Leute strömen in ihre Vorstellungen. Ihre Haupteinnahmequelle ist jedoch ihr Körper, den sie verkauft. Sie lässt sich als Geliebte aushalten und schwelgt in Mode und Luxus. Sie verbreitet Lügengeschichten über ihre Herkunft und umgibt sich mit der geheimnisvollen Aura der exotischen Tänzerin mit wahlweise indonesischem oder adligem Hintergrund. Das geht eine kurze Zeitlang gut.

Nein, das Buch ist keine Biografie der Mata Hari, es ist ein Roman, und es erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Paul Coelho hatte zwar Zugang zu geheimen, lange verschlossenen Akten und natürlich basiert die Geschichte auf wahren Begebenheiten. Doch zum Einen ist vieles um Mata Hari Legende und Mythos und lässt sich nicht beweisen, zum Zweiten lässt der Autor einfach zu viele tatsächliche Ereignisse weg. Nun wird das Ganze zum großen Teil aus ihrer Sicht erzählt, und Mata Hari als Verfasserin hat – vorsichtig ausgedrückt - eine sehr eigene Wahrnehmung ihrer Person und ihrer Bedeutung. Sie sieht sich selbst als Opfer, das permanent von Männern begehrt und auch missbraucht wird, die sich aber aus den Zwängen befreit und fortan selbstbestimmt lebt und nun umgekehrt die Männer benutzt. Obwohl sie nie eine Tanzausbildung – oder überhaupt eine abgeschlossene Ausbildung - genossen hat, steht es für sie außer Frage, für eine Rolle beim russischen Ballett geeignet zu sein. Kurz: Sie überschätzt sich maßlos. Diese Selbstüberschätzung hält sich bis zu ihrem Tod, denn bis zuletzt ist sie überzeugt, dass ihre Politikerfreunde sie entlasten. Doch schon vorher haben sich alle von ihr abgewandt.

Sicherlich hat Mata Hari das Pech, in einer Zeit zu leben, die mit ihren strengen Moralvorstellungen und Konventionen die Doppelmoral geradezu herausfordert. Menschen wie sie gelten als Prostituierte, als lasterhaft. Frauen wird generell keine eigene Meinung zugestanden, sie haben zu heiraten und Kinder zu bekommen oder als alte Jungfer bei ihren Eltern oder im Kloster zu leben. Den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, ist als Frau nahezu unmöglich. Dennoch trifft Mata Hari sehr viele eigene Entscheidungen, und sie entscheidet sich bewusst für die Ehe mit einem viel älteren Mann, sie will das langweilige Holland verlassen und auch abgesichert sein. Zeit ihres Lebens erscheint ihr alles als Abenteuer, sie will etwas erleben. Als ihr an der Seite ihres Mannes Anerkennung versagt bleibt und sie sich erneut langweilt, bricht sie auch hier wieder ihre Zelte ab. Dennoch emanzipiert sie sich nicht, denn sie begibt sich erneut in die Abhängigkeit von Männern, indem sie sich verkauft, da sie anders ihr luxuriöses Leben nicht finanzieren kann. Ihr Körper ist ihr Kapital, und sie hat panische Angst vor dem Verfall.

Mata Hari wird als eine gänzlich unpolitische Person dargestellt, die Umwälzungen in Europa gehen völlig an ihr vorbei, und so gerät sie naiv und mit fast schon sträflicher Dummheit zwischen die Fronten der Kriegsgegner. Sie hat zwar politische Freunde und Geliebte, doch die weltpolitischen Themen interessieren sie nicht, insofern kann sie da auch nichts preisgeben. Sie lässt sich nur auf das „Spiel“ ein, weil sie Geld braucht. Was das angeht, ist sie wohl tatsächlich unschuldig, ehrlich gesagt kommt sie mir auch nicht clever genug vor, um als Doppelspionin bestehen zu können. Sie kämpft auch nicht gegen das herrschende Frauenbild oder um ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft, wie etwa ihre Mitgefangene Hélène Brion, die Feministin und Pazifistin. Mata Hari ist grenzenlos egoistisch und nur auf ihren Vorteil bedacht. Es ist schwierig, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, denn die notorische Lügnerin will sich selbst in gutem Licht darstellen. Dazu gehört, dass sie einige Dinge zwar zugibt, aber das wirklich Unangenehme auslässt, und auch die Situation mit ihrem Mann erscheint so in einem anderen Licht. Die – angeblichen – Demütigungen sollen ihr eine Rechtfertigung geben, ihn zu verlassen. Damit verlässt sie auch ihre Tochter und in den erfolgreichen Jahren verschwendet sie keinen Gedanken an sie. Die Liebe in ihren späteren Jahren zu einem wesentlich jüngeren russischen Soldaten bleibt bestenfalls ein kurzes Intermezzo und ist ebenfalls ihrer Eitelkeit geschuldet.

Fazit: Wer Coelho mag, wird dieses Buch sicherlich auch lieben, es ist anspruchsvoll geschrieben, liest sich aber dennoch gut und flott herunter. Wer eine Mata Hari-Biografie lesen will, sollte sich lieber auf die angegebene Literatur konzentrieren (oder die Lieblingssuchmaschine bemühen). Mir hat es Mata Hari, ihre Zeit, ihren Kampf gegen Konventionen leider nicht näher gebracht. Sie bleibt in Erinnerung als skandalöse, eitle und leider auch naive Persönlichkeit, die leider nie wahre Liebe erfahren durfte, sondern sich wie eine Ware zur Schau gestellt hat und so zu einer Ware wurde.