Ein bewegender Roman

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maesli Avatar

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Zwei wohlsituierte Familien aus Wien machen in der Toskana gemeinsam Urlaub. Mit dabei sind deren Kinder und ein somalisches Flüchtlingskind, die Freundin von Sophie Luise, ohne die sie nicht mitgefahren wäre.
Es war recht schwierig die somalische Familie zu überzeugen, dass ihre Tochter einen schönen Sommerurlaub in der Toskana verbringen und bei der Gelegenheit Schwimmunterricht von Sophie Luise bekommen wird. Aayana ist ein schüchternes hübsches Mädchen, das sehr ruhig und zaghaft anmutet. Man spürt sie nicht!
Dass Aayana Angst vor dem Wasser hat, schränkt Sophie Luise in ihrem Schwimmunterrichtswahnsinn kaum ein. Sie meint es gut mit ihr und verspricht ihr Freiheit, zumindest im Schwimmbadwasser.
Im Haus wird das Abendessen zubereitet während Sophie-Luises Mutter auf dem Liegestuhl am Pool schläft. Dass Aayana fehlt, fällt nicht auf. Das Mädchen schleicht sich aus dem Haus um im Pool die Freiheit zu probieren. Die Katastrophe bricht herein.
Im Mittelmeer ertrinken jährlich tausende Flüchtlinge, das kümmert mittlerweile kein Schwein mehr. Dann verirrt sich einmal ein Migrantenkind in einen vornehmen Swimmingpool einer bekannten Grün-Politikerin und geht dort unter, und die mediale Welt steht Kopf bei uns. Wir sein schon eine kranke Gesellschaft!

Meine persönlichen Leseeindrücke
Im Südtiroler Sprachgebrauch versteht man unter „die spürt man nicht“ Personen (singular oder plural ist egal), die zwar zugegen sind, aber sich so ruhig und unauffällig verhalten, dass man ihre Anwesenheit nicht bemerkt; sie stören nicht! Und genau in diesem Sinne ist dieser Roman zu verstehen, denn es geht um Menschen, die zwar da sind, aber deren man sich nicht bewusst wird, weil sie unbemerkt bleiben.
Darüber hinaus wirft das Buch die große Frage auf, was ein Menschenleben wert sein kann. Diesen Part übernimmt der schrullige, kauzige Rechtsanwalt der Flüchtlingsfamilie, der selbst ein Mensch ist, den man kaum spürt. Mit einem Clou schafft er es, die mediale Aufmerksamkeit auf den Unfall und die darin verwickelten Personen zu lenken– nun werden sie sichtbar. Im Gerichtsverfahren treten menschliche Schicksale in den Vordergrund und großartige Freundschaften und Karriere drohen zu zerbrechen.
In diesem Kontext inszeniert der Autor ein Romanstück, in welchem wirklichkeitsgetreue Protagonisten, spannende Szenen und starke Dialoge für ein sehr aktives Leseerlebnis sorgen. Der Roman ist weniger schöngeistige Literatur, als eine realitätsnahe, berichtähnliche Aufzeichnung eines Unglücks mit seinen schwerwiegenden Folgen für alle Beteiligten. Auffallend, aber passend, sind die Chatverläufe der Sophie-Luise mit Pierre, die der Geschichte einen modernen Empathie Tick verpassen. Es ist das Schicksal des überlebenden Mädchens, das mich in diesem Roman am meisten mitnimmt.

Fazit
„Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer ist ein bewegender Roman über den Unfalltod eines Flüchtlingsmädchens, und Menschen, die man nicht spüren will.