Entlarvend, zynisch, gesellschaftskritisch

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Die 14-jährige aus Somalia geflüchtete Aayana spürt man wirklich nicht. Unauffällig, rudimentäre Deutschkenntnisse, Kopftuch. Gerade deshalb ist sie für ihre Klassenkameradin Sophie Luise interessant, immerhin entspricht ihre eigene Herkunft aus einem gutbürgerlichen, gebildeten Haushalt gar nicht dem ihrer neuen Freundin. Und so überzeugt sie ihre Mutter Elisa, eine grüne Politikerin, Aayana mit in den Familienurlaub in die Toskana zu nehmen. Dort passiert das Unvorstellbare. Aayana ertrinkt in einem unbeobachteten Moment im Swimming Pool.
 
Beide in den verhängnisvollen Sommerurlaub verwickelte Familien, allen voran Elisa, versuchen in dem folgenden Gerichtsprozess, die Schuld von sich zu weisen, während Sophie Luise in depressionsähnliche Zustände und dem Drogenrausch verfällt. Glattauer entlarvt dabei raffiniert sowohl die Seite der österreichischen Gesellschaft, die sich gerne als wohltätig und Geflüchteten wohlgesonnen inszeniert, als auch die offensichtlich Rechten und Rassisten. Die dem Roman eingefügten Auszüge aus fiktiven Zeitungsberichten sowie deren Kommentare auf Social Media  verdeutlichen zusätzlich den Hass, zu dem manche Asylwerbenden gegenüber fähig sind.
 
In seiner gewohnt klaren Sprache zeigt Glattauer meisterhaft die Doppelmoral vieler Österreicher:innen auf. Erst zum Schluss kommt endlich Aayanas Familie zu Wort, was verdeutlicht, dass geflüchtete Personen nicht nur Hilfe in Form von Unterkunft und Sachspenden brauchen, sondern vor allem auch als Menschen wahrgenommen werden müssen, mitsamt ihrer eigenen Gefühlen, Erfahrungen und Geschichten.
 
Trotz des thematisch wirklich schweren Stoffes habe ich "Die spürst du nicht" innerhalb kürzester Zeit durchgelesen, was nicht zuletzt Glattauers angenehmen Schreibstil zuzusprechen ist, und kann für den Roman eine klare Leseempfehlung aussprechen.